Woche 27/2024: Zurück in der Wirklichkeit

Montag: Zurück in der Wirklichkeit. Der erste Arbeitstag nach dem Urlaub erinnert stets ein wenig an den ersten Schultag früher nach den Sommerferien: Man kommt an, sieht die Mitschüler beziehungsweise Kollegen wieder, wie wars, schön. Man sichtet hier, schaut da, plaudert dort, inhaltlich passiert nicht viel, es erwartet auch niemand sofortige Höchstleistung, komm erstmal wieder an, sagen sie. Wesentlicher Unterschied zum ersten Schultag: Ich konnte nicht schon mittags nach Hause gehen.

Aus einer der nicht übermäßig vielen Mails: „(Wir sollten das) noch einmal taylorn. […] Ich freue mich!“ Die Freude ist ganz seinerseits.

Im Pressespiegel ein Artikel des geschätzten Premium-Mediums Der Westen online. Darin dieser Satz: „Der neue Service […] verspricht einige positive Verbesserungen.“

Zum Abendbrot wurde Rosé gereicht. Insgesamt war der Tag für einen Nachurlaubsmontag gar nicht so schlecht.

Dienstag: Morgens während des Fußwegs ins Werk sah ich Aufkleber mit dem Wort „Kumpelspaß“ an Lampenpfählen. Was genau das zu bedeuten hat, erschloss sich nicht, es könnte auch ein Filmchentitel bei XHamster.de sein. Andere Aufkleber richten sich gegen die AfD. Leider lösen Aufkleber im öffentlichen Raum keine Probleme. Genauso wenig wie die AfD welche lösen wird, wenn sie irgendwann an die Macht kommt. (Mein Optimismus reicht nicht aus, den vorstehenden Satz im Konjunktiv zu formulieren.)

Durchaus eine Empfehlung

„In Hamburg ist Liebe einfach Liebe — Weil wir Hamburg sind“, verkündet ein Plakat. Darauf zwei augenscheinlich in inniger Zuneigung verbundene Kumpel und ein Herzchen in Regenbogenfarben. Auch hier wird nicht unmittelbar deutlich, wofür es wirbt, zumal der Hanseat an sich nicht als besonders warmherzig gilt.

Frau Kaltmamsell schreibt von „urlaubigem Blödschaun“, das gefällt mir, rückblickend auf die Liegestuhlfaulheit der letzten zwei Wochen, ausgesprochen gut.

Im Kieselblog ist zu lesen: „Häufig wiederhole ich mich hier im Blog. Das liegt daran, dass viele der Absätze im Moment entstehen und ich dann nicht weiß, ob ein Thema schon mal dran war. Das alles Zusammensortieren sollen dann halt meine Nachkommen oder das Literaturarchiv in Marbach machen.“ Auch das gefällt mir gut, weil es für mein Blog gleichermaßen zutrifft.

Für den Nachmittag hatte eine Kollegin zu einer Besprechung mit rätselhaftem Betreff eingeladen. Darin teilte sie der Runde ein Ereignis mit, das sich auch auf das von dieser Runde betreute Projekt auswirken könnte. Genaueres weiß sie noch nicht, eigentlich sei das auch gar nicht ihr Thema, sondern eins des Produktmanagements, das sie aber erst übermorgen informieren könne und wolle, aber „Ich wollte nur schon mal sagen, dass…“ wiederholte sie mehrfach, überhaupt wiederholte sie alles mehrfach. Wiederholungen von bereits Gesagtem, erst recht mehrfach, erzeugt bei mir stets eine ungeduldige Aggression, ich musste an mich halten, beim etwa zehnten Mal nicht „JA DOCH!“ dazwischen zu rufen.

Mittwoch: Seit heute müssen Plastikverschlüsse unlösbar mit Getränkeflaschen und -packungen verbunden sein, auf dass sie nach Gebrauch nicht durch die Gegend fliegen und die Meere verschmutzen. Ob es hilft, weiß ich nicht, doch sehe ich darin keinerlei Grund zur Entrüstung und Grünen- bzw. EU-Schmähung. Da ich nicht mehr in den einschlägigen Hetzwerken lese (oder unterwegs bin), weiß ich es nicht, gehe jedenfalls davon aus, dass dort darob jetzt getobt wird, auch von solchen, die schon lange regelmäßig und gerne Bier aus Bügelflaschen trinken.

Etwas Sorge bereiten mir die Nachrichten über die sich ausbreitende Vogelgrippe, die schon lange nicht mehr nur geflügelte Wirte heimsucht. Auch von einem Anstieg der Corona-Infektionen und neuen Varianten ist zu hören und lesen. Mir wird bang. Dagegen sind angeleinte Flaschenverschlüsse nun wirklich ein Vogelschiss.

Qualitätsjournalismus auch im General-Anzeiger

Donnerstag: Morgens leerte in der Innenstadt ein oranger Saugwagen über einen dicken Schlauch den Fettabscheider eines Restaurants, noch viele Meter davor und dahinter stank es erheblich. Nase auf bei der Berufswahl, dachte ich und freute mich über meine olfaktorisch zumeist unauffällige Bürotätigkeit.

Seit ich wieder im Mutterhaus arbeite, werde ich regelmäßig Zeuge von Aufzuggesprächen. Heute zwei Businesskasper. BK1: „War ’ne kurze Nacht.“ – BK2: „Ach, du schläfst? Ich ruhe nur.“ – BK1+2: „Hö hö hö.“ – Ich: inneres Augenrollen.

Notizbuchnotiz, während ich nachmittags auf die Bahn wartete: „Haltestellengedanke: Auch ich könnte jetzt das Datengerät zücken und z.B. die Zeitung lesen. Aber es ist mir zu blöd, weil alle drumherum aufs Telefon schauen. Ins Notizbuch schreibt dagegen außer mir niemand. Was stimmt nicht mit mir?“

Freitag: Alles Wesentliche zum Tag ist hier nachzulesen.

Samstag: Aus einem Zeitungsartikel über angemessenes Verhalten in Sternerestaurants: „Darf ich mit dem Brot die Soße auftunken? Manierentechnisch ist das […] ein No-Go.“ Und vokabeltechnisch eine Katastrophe.

Es war bewölkt und windig, gleichzeitig bis zum Nachmittag sehr warm. Nach dem Frühstück auf dem Balkon verband ich den Altglasentsorgungsgang mit einem längeren Bummel durch die menschenvolle Stadt. Das kann eigentlich gar nicht sein: Wie auch heute wieder ausführlich in der Zeitung dargestellt wurde, kommt wegen der katastrophalen Verkehrspolitik, deren Ziel es ist, Autos von Bonn fernzuhalten, zudem Autofahrer zu ärgern, wo es nur geht, dazu dysfunktionale öffentliche Verkehrsmittel, niemand mehr freiwillig nach Bonn. Aber sie waren da, zahlreich, besuchten Geschäfte und füllten Gaststätten, ich habe sie mir nicht eingebildet.

Nach Rückkehr Balkonlesezeit, bis ein kurzer, heftiger Regenschauer mit Wind, der die Tropfen unter die Markise wehte, mich vorübergehend ins Innere trieb. Abends zum Grillen war es wieder trocken und pulloverkühl.

Kann es sein, dass die Welt immer bekloppter wird?

Sonntag: Zu den liebsten Routinen zählt der Spaziergang am Sonntagnachmittag. Der führte heute wieder rüber ans andere Rheinufer, auf dem Rückweg durch den schönsten aller Biergärten.

Am Weg lag eine städtische Mobilstation, auf den ersten und zweiten Blick nicht viel mehr als ein großer, überdachter Fahrradständer. Interessanter das Wort, das einen logischen Widerspruch in sich trägt. Wahrscheinlich bin ich mal wieder der einzige, der das so sieht und erwähnenswert findet, aber das ist ja das Schöne am eigenen Blog.

Bei Schwarzrheindorf ist die Gerste erntereif. Der Landwirt hatte wohl kurz zuvor erst begonnen, gerade als ich das Feld passierte, kam mir unmittelbar neben dem Weg der Mähdrescher entgegen und hüllte mich in eine Strohstaubwolke. Wer Bier trinken will, muss das aushalten.

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Es liegt mir fern, die Intention des Aufklebers infrage zu stellen, auch möchte ich nicht belehrend erscheinen, doch bereits das Wort Mitglied ist geschlechtsneutral.

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Kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 32/2023: Im Weinberg des Herrn

Montag: Die Sommerferien sind vorüber, angesichts des derzeitigen Wetters könnte man auch annehmen, es wären Herbstferien gewesen. Daran gemessen hielt sich die Anzahl der Menschen auf den Straßen und in den Büros sowie die der eingehenden Mails und Anrufe in erfreulichen Grenzen; die Zurückgekehrten waren wohl noch mit ihrem eigenen Maileingang beschäftigt, bevor sie wieder beginnen, andere zu belästigen. Als Schüler mochte ich den ersten Schultag nach den Sommerferien: Man sah sich nach sechs Wochen wieder, manche lieber, andere weniger gerne. Der Schultag war nicht allzu lang, statt Unterricht wurde Organisatorisches bekanntgegeben. Erst ab dem nächsten Tag wurde es wieder beschwerlich.

„Ich kann das mal screenshoten“, sagte eine in der Besprechung. Was so aus Sprachfaulheit geplappert wird.

»Diese Baby-Tiere werden ihren Tag um einiges verbessern« steht in einer Werbeanzeige auf der Wetter-Internetseite, die in letzter Zeit meine erhöhte Aufmerksamkeit erfährt. Aufgrund des kleingeschriebenen Pronomens ist nicht ganz klar ist, wessen Tag sie verbessern werden. Während die meisten Betrachter wohl in erhöhter Tonlage juchzen, weil sie das abgebildete Eselchen niedlich finden, denke ich als erstes an eine Tagesoptimierung durch Lammkoteletts und Wiener Schnitzel und schäme mich ein wenig dafür.

Dienstag: Wenn ich von einer begehbaren Dusche höre oder lese, frage ich mich jedes Mal: Was denn sonst? Befahrbar, oder nur liegend oder sitzend zu benutzen? Dasselbe gilt sinngemäß für akustische Gitarren, optische Anzeigen und Funktionsjacken.

Jedes Mal, wenn ich jetzt noch wen mit Schutzmaske sehe, etwa in der Kantine oder der Bahn, erwische ich mich bei dem Gedanken: Die stellt sich aber an. (Männer sind selbstverständlich mitgemeint.) Ich kann es nicht ändern.

Mittwoch: Wir haben das jetzt auch mal ausprobiert mit dem Entsorgen überzähliger Haushaltsausstattung per Zu-Verschenken-Zettel vor dem Haus. Nachdem der Geliebte zentnerweise neues Geschirr gekauft hat, nutzten wir die Gelegenheit, da die Erdgeschossnachbarn im Urlaub sind, das nicht mehr benötigte Porzellan auf den Treppenabsatz vor derer Wohnungstür zu stellen, darüber der Zettel. Am vergangenen Sonntag begannen wir mit mehreren Stapeln Teller, Schalen, dazu einige Tassen und Gläser, bereits am Abend war das meiste davon entnommen. Wir legten nach: weitere Tassen und Gläser. Spätestens im Laufe des Montags fanden sie neue Besitzer. Sogar elektrische Zahnbürsten, gestern Abend ausgelegt, waren heute Nachmittag verschwunden; zudem bedankte sich ein Abholer schriftlich auf dem Zettel für die Gläser, sie seien perfekt für die Restauranteröffnung am Wochenende. Das freut uns sehr.

Das Laufen am Abend war anstrengend, vielleicht, weil es wieder wärmer, oder, wie man es früher ausdrückte: das Wetter schöner geworden ist. Immerhin hielt ich die Laufstrecke durch ohne zwischendurch gehen zu müssen, dafür ruhig mal etwas Eigenlob.

Hinter dem Haus schimpft seit Tagen eine Amsel. Wir wissen nicht, worüber, vielleicht die Katze der Nachbarn. Vielleicht ist sie auch mit der Gesamtsituation unzufrieden, wer weiß schon, was in so einer Amsel vor sich geht.

Natur

Donnerstag: „Der Zug ist aus dem Bahnhof“, sagte einer in der Besprechung und verschaffte mir damit einen mehrstündigen Ohrwurm: „Der Zug, der Zug, der Zug ist aus dem Bahnhof …“

In einem Zeitungsbericht beklagen Bonner Unternehmer die Bemühungen der Stadt, die Vorherrschaft des Kraftfahrzeugs gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern zu beenden. »Wir dürfen nicht vergessen, das Auto ist ein wesentlicher Faktor unseres Wohlstands«, so einer der Beklagenden. Damit ist ein wesentliches Problem der letzten Jahrzehnte gut auf den Punkt gebracht.

Ich solle mein Leben in einem alternativen Universum beschreiben, so der Tagesvorschlag des Blogvermieters. Da ich schon lange immer wieder den Eindruck habe, in einem Paralleluniversum zu leben, ist das meiste dazu längst geschrieben.

Freitag: Morgenplausch am Werkstor: „Morgen!“ – „Morgen, wie gehts Ihnen?“ – „Danke gut, Ihnen auch?“ – „Ach ja …Wir alle kämpfen doch im Weinberg des Herrn.“

Das stimmt – Der letzte Arbeitstag vor einer Woche Urlaub zeigte sich relativ ungemütlich: Nach dem Mittag noch zwei Besprechungen, zudem diverse dringliche Anliegen und ein Auftrag des Chefs für den Chefchef, noch heute eob zu erledigen. Auch das gelang, zu einer akzeptablen Uhrzeit hatte ich die Trauben gelesen.

Ungemütlich war es bei Rückkehr auch zu Hause: Nach Wochen mit Regen in herbstlicher Kühle ist plötzlich und unerwartet der Sommer wieder zurück mit Sonne, Hitze und Kurze-Hosen-Alarm. Das schlug sich negativ auf die häusliche Stimmung aus, was mich am frühen Abend veranlasste, eine Außengastronomie aufzusuchen, wo dieser Eintrag zu Display gebracht wurde. Nebenbei vereitelte ich einen Suizid.

Dusselwespe

Auf einem Standbildschirm in Sichtweite wirbt mit der Überschrift „Stadtgestöhne“ ein Anbieter von Mastubatoren und Penispumpen für seine Produktpalette. Warum auch nicht, ein jeder kämpft in seinem Weinberg.

Samstag: Ich fühlte mich angeschlagen, schlapp, müde, als hätte ich am Vorabend im Übermaß dem Alkoholgenuss gefrönt. Zwar gab es am Vorabend das eine oder andere Glas, jedoch nicht in dem Maße, das als Begründung für mein angeschlagenes Wohlbefinden dienen könnte. Krankheit ist keine akzeptable Option, morgen brechen der Liebste und ich auf zu einer einwöchigen Schiffsreise auf dem Rhein. Daher schiebe ich es auf das Wetter, das heute feucht-schwül daherkommt.

Mittags verband ich eine Besorgung mit einem längeren Spaziergang auf die andere Rheinseite nach Beuel. Danach ging es mir immer noch nicht richtig gut, aber etwas besser.

Aus dem Bonner General-Anzeiger von heute:

Artikelüberschrift I: »Selbstfahrende Taxis erobern San Francisco«

Artikelüberschrift II: »Elektrisierendes Sprengpotenzial«

Aus einem Artikel über ein Punkertreffen in der Bonner Innenstadt: »Für das Wochenende hat er nach alter Punkerart eine Alkoholmischung namens Molotow Soda zusammengekippt, die traditionell in einem Fünf-Liter-Benzinkanister serviert wird. Der ursprüngliche Mix besteht aus Blue Curacao, Rum, Eierlikör und wird mit Bitter Lemon abgeschmeckt. Diesmal gibt es die vegane Version – ohne Eierlikör.«

Sonntag: „Keine Termine und leicht einen sitzen ist das wahre Glück“, zitierte eine junge Dame der Schiffs-Crew die Worte ihres Vaters und beschreibt damit meinen Zustand zum Zeitpunkt der Niederschrift zutreffend. Am Nachmittag legten wir in Köln-Deutz ab, seitdem verbringe ich die Zeit kuckend, essend, trinkend und wieder kuckend. Es ist nicht beabsichtigt, daran in den kommenden sieben Tagen Wesentliches zu ändern.

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Kommen Sie gut durch die Woche.