Woche 39/2024: Unreife Brombeeren, Buskursionen und Gaudi ohne Lederhose

Montag: Gegen fünf in der Frühe erwachte ich aus einem ungemütlichen Traum (jemand jagte mich mit gezücktem Messer ein Treppenhaus hoch, dabei war er wesentlich schneller als ich) und fand erst eine knappe Stunde später wieder in den Schlaf, kurz bevor der Wecker des Geliebten anschlug.

Heute wäre mein Vater neunzig Jahre alt geworden. Ich erhebe das Glas auf ihn, das hätte ihn gewiss gefreut.

Der angekündigte Regen blieb weitgehend aus, was die planmäßige Fahrradfahrt ans Werk ermöglichte, wo ich erstaunlich gut gestimmt und in trockener Hose ankam. Der Arbeitstag bot wenig Berichtenswertes, er endete zu angemessener Zeit.

Ekaterina hat eine Mail geschrieben:

Willkomm!!!
Vielleichtdu uberrascht, einen Brief von mir zu sehen!
Sie scheinen mir nur ein interessanter Person zu sein! Ich habe mich nicht in dir geirrt?!?
Im den nachfolgenden Nachricht kann ich Ihnen weitere Informationen uber mich selbst schreiben.. Ich bin eine sehr lange Zeit keine mehr Ich hoffe dass Sie bist nicht dagegen? Wenn Sie die Kommunikation fortsetzen und mehr wissen mochten uber mich, dann antworten
Ich bin ein attraktives und freundliches Person mit ernsthaften Planen fur die Zukunft.. Aber in letzter Zeit empfinden ich mich oft Traurigkeit und Einsamkeit!
Ich bin Ekaterina ..
ernsthafte Beziehung gelebt..
Deshalb ich habe wollte, dir zu schreiben, um kennen zu lernen!
Sie mir.. Ich werde warten auf eine E-mail von Ihnen ! Ekaterina.

Dazu das Bild einer jungen Frau mit langen blonden Haaren, dunkel umschminkten Augen und bedrohlich langen Fingernägeln. Leider habe ich gerade keine Kapazitäten frei, mich der Dame anzunehmen, auch sollte sie an ihrer Zielgruppenbestimmung arbeiten. Wenn Sie interessiert sind, kann ich den Kontakt gerne herstellen.

Dienstag: Die Zeitung bezeichnet eine mögliche Koalition aus CDU, BSW und SPD als „Brombeer-Koalition“. Wie kommen die nur darauf? Reife Brombeeren, also die Früchte, sind schwarz, vorher rot, vielleicht auch ein bisschen violett. Außerdem neigen sie, also die Büsche, dazu, alles in ihrer Umgebung stachelbewehrt zuzuwuchern. Vielleicht deshalb?

Lange nichts Neues über die Rheinnixe geschrieben, die ehemalige Personenfähre nach Beuel. Am dortigen Ufer lag sie seit längerem und wartete auf bessere Zeiten. Laut einem Zeitungsbericht hat sie ein Privatmann gekauft ohne nähere Angaben, was er damit vorhat. Vielleicht ist ihm jetzt was eingefallen, seit heute Morgen ist sie verschwunden. Dieses Mal vielleicht für immer. Wir werden sehen.

In einer internen Mitteilung war etwas vom „richtigen Mindset“ zu lesen, auch so ein Begriff, der mich regelmäßig schaudern lässt. Außerdem nahm ich am Kick Off eines zweifelhaften Projektes teil. Bei solchen Anlässen ist es immer wieder beruhigend, wenn mein Name nicht im Projekt-Organigramm zu lesen ist.

Der Arbeitstag war wegen einiger spontan per Mail eingetroffener Handlungsbedarfe und wegen abzuwartenden Regens etwas länger als erwartet, das war nicht schlimm. Ohnehin empfiehlt es sich dienstags nicht, zu früh nach Hause zu kommen, um bei des Heimes Pflege nicht im Wege zu sein. Wozu das gerade in der Vorweihnachtszeit führen kann, wissen wir dank Loriot.

Mittwoch: Anscheinend bin ich nicht der einzige, bei dem das gestern beschriebene Brombeerbild Verwunderung auslöst. Heute sah sich die Zeitung veranlasst, per Kolumne auf der ersten Seite aufzuklären. Demnach hat sich das ein Parteienforscher (was es alles gibt; demnächst, wenn es einigermaßen gut läuft, forscht er vielleicht nach kaum noch nachweisbaren Spuren der FDP) namens K.-R. Korte ausgedacht, inspiriert durch noch nicht ganz reife Brombeeren, die neben schwarzen auch dunkelrote Fruchtperlen aufweisen. Das finde ich sehr weit hergeholt. Wobei: Unreife Brombeeren sind unbekömmlich, insofern passt das Bild.

Deshalb also
Nanu?

Morgens war es trocken, deshalb fuhr ich planmäßig mit dem Rad zum Büro. Dadurch geriet ich nach Arbeitsende in eine Situation: Wegen eines überzogenen Cheftermins kam ich erst später raus, eine halbe Stunde später hatte ich einen Gesundheitstermin in der Inneren Nordstadt. Zeitlich kein Problem, leider regnete es nun mittelstark. Deshalb versuchte ich, mir die morgens vom Geliebten gereichte, ungefähr auf Postkartengröße (falls Sie damit noch was anfangen können) gefaltete Regenschutzfolie überzuziehen, was im windbegleiteten Regen nicht ganz einfach und für mögliche Beobachter erheiternd gewesen sein muss. Wieder so ein Moment, in dem ich dachte: Hoffentlich filmt das keiner. Trotz aller Ungeschicklichkeit meinerseits leistete die Pelle, bis über den Lenker gezogen, was die Lenkung etwas einschränkte, gute Dienste: Die Hose blieb trocken, die Schuhe wurden nur etwas feucht. Vielleicht sollte ich das demnächst mal trocken üben.

Ob die originäre Zweckbestimmung des Produktes der Regenschutz ist, mag aufgrund der Abbildung angezweifelt werden

Donnerstag: Heute hatte ich frei. Da für den Tag Regen angekündigt war, verzichtete ich auf eine Wanderung, zumal die letzte erst zwei Wochen zurück liegt. Stattdessen startete der Tag mit Frühstück und Zeitunglesen im Kaufhof-Restaurant. Zu meiner Überraschung stand ich zunächst vor verschlossener Tür, weil sie erst um zehn öffnen, das muss ich mir merken für künftige freie Tage mit Auswärtsfrühstück.

Die Zeitung berichtet über den vierzehnten Extremwetterkongress in Hamburg. Experten fordern von den Menschen und der Politik sofortiges Umdenken und Handeln ein, wenn uns das Klima nicht schon bald um die Ohren fliegen soll. – In Bad Godesberg geht eine neu gegründete Bürgerinitiative gegen Baumpflanzungen an, weil dadurch Parkplätze entfallen. „Wir sind doch auf das Auto angewiesen“, so die Bürger. – Unterdessen sorgt sich die Weltgesundheitsorganisation um die Jugend, weil sie zu viel Zeit in den sogenannten sozialen Medien verbringt, die bekanntlich einen hohen Energieverbrauch haben. So passt eins zum anderen.

Nach dem Frühstück tat ich, was ich mir schon lange vorgenommen hatte: eine Buskursion in einen mir bislang unbekannten Stadtteil. Auch nach fünfundzwanzig Jahren, die ich nun in Bonn lebe, kenne ich nur wenige der Außenbezirke in den Zielanzeigen der Linienbusse. Also begann ich heute mit der Linie 611 ab Hauptbahnhof nach Heiderhof, ein Stadtteil, den ich bei der vorletzten Wanderung am Rande streifte. Die ersten Kilometer waren vertraute Strecke, sie entsprachen exakt meiner Radfahrt zum Büro. Bei Vorbeifahrt am Mutterhaus sah ich die ersten Hungrigen von den anderen Bürogebäuden in die Kantinen strömen. Die weitere Fahrt führte über Plittersdorf durch das Godesberger Villenviertel, das zu Fuß zu erkunden sich lohnt; falls Sie mal in Bonn sind, empfehle ich Ihnen das sehr. Am Godesberger Bahnhof gab es einen längeren Aufenthalt, weil der Fahrer den Bus verließ, vielleicht drückte die Blase. Es dauerte einige Minuten, ehe es weiter ging, während der ganzen Zeit lief der Motor. Wieviel CO2 mag täglich völlig unnötig ausgestoßen werden, weil Fahrer von Kraftfahrzeugen aller Art es nicht für nötig befinden, während längerer Haltezeiten den Motor abzustellen? Was haben sie davon, wenn der Motor läuft?

An der Godesberger Stadthalle wechselte der Fahrer, was wenige Minuten dauerte, immerhin wurde währenddessen der Motor abgestellt. Dann ging es weiter, nach einigen Kilometern bergauf durch den Wald wurde Heiderhof erreicht. Darüber ist nicht viel zu schreiben: eine nach meinem Empfinden eher seelenlose Ansammlung von Wohnblocks und Bungalows aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, immerhin mit viel Grün dazwischen. Ein wenig erinnert es mich an Bielefeld-Sennestadt, das ungefähr zur selben Zeit auf der grünen Wiese bzw. im Wald entstanden ist. Da es keinen Grund zum längeren Verweilen gab, ging ich nach Ausstieg eine Haltestelle vor und fuhr direkt mit dem nächsten (bzw. demselben) Bus zurück.

Die Linie 611 fährt in Gegenrichtung bis Lessenich, das ich ebenfalls noch nicht kannte. Deshalb blieb ich am Hauptbahnhof, wo ein größerer Fahrgast- und der nächste Fahrerwechsel erfolgte, sitzen. Während der Fahrt nach Lessenich, durch die Weststadt, Endenich und Dransdorf, war der Bus wesentlich voller als nach Heiderhof. Lessenich ist im Gegensatz zu Heiderhof ein alter, gewachsener Ortsteil mit teilweise dörflichem Charakter. Bei Erreichen der Endhaltestelle am Sportplatz, direkt am Messdorfer Feld gelegen, war mein Bedarf an Busfahren nach etwa drei Stunden für heute gedeckt, daher beschloss ich, zu Fuß nach Hause zu gehen, zumal der angekündigte Regen ausblieb. Somit kam ich zwar nicht zu einer Wanderung, immerhin einem längeren Spaziergang, mit Einkehr auf Kaffee und Kuchen nach Rückkehr in der Innenstadt.

Man mag das für Zeitverschwendung halten, mir hat es gut gefallen, ich werde das wieder tun. Das Busnetz ist groß, es erreicht viele Orte, in denen ich noch nie war.

Heiderhof I
Heiderhof II
Oft ist böses über Busfahrer zu hören und lesen, sie seien unfreundlich und ließen Leute einfach an der Haltestelle stehen. Doch wie sie ihr Fahrzeug durch enge Straßen mit Baustellen und parkenden Autos lenken, ohne anzuecken, verdient Hochachtung. Meine haben sie.
Messdorfer Feld

Freitag: „Wer bereits geantwortet hat: disregard“ beendete einer seine Mail. Vermutlich war ich der einzige im Verteiler, der das letzte Wort nachschlagen musste. Laut einer Umfrage von Allensbach lehnen nur einunddreißig Prozent der Befragten die Verwendung englischer Begriffe in der deutschen Sprache ab, las ich letztens in der Sonntagszeitung. Offenbar muss ich diesbezüglich an meinem Mindset arbeiten.

Das Morgenlicht war wieder augstreichelnd

Aus der Zeitung:

Da bekommt das Wort Verbrenner eine ganz neue Bedeutung (General-Anzeiger Bonn)

Samstag: Die britische Schauspielerin Maggie Smith ist tot. Sie spielte in der Serie Downton Abbey die Countess of Grantham, Violet Crawley, Mutter des Hausherrn, und zwar ganz großartig, aber das wissen Sie vermutlich selbst, wenn Sie es gesehen haben. Downton Abbey war eine der wenigen Serien, die ich mir in den letzten zehn bis zwanzig Jahren angesehen habe; aus Gründen, die ich selbst nicht benennen kann, langweilen mich bewegte Bilder eher. Daher schaue ich – außer der Tagesschau, gelegentlich der heute-Show und Nuhr im Ersten* – kaum Fernsehen, gehe nur sehr selten ins Kino, per WhatsApp zugesandte Filmchen werden konsequent disregarded. Auf der Liste der Dinge, die ich im Leben benötige, stünde ein Netflix-Anschluss weit unten. Deshalb kann ich, neben Fußball und überhaupt Sport, beim Thema Filme, Serien und Schauspieler nicht mitreden. Maggie Smith war für mich jedenfalls eine der großen.

*Dazu stehe ich, auch wenn Dieter Nuhr umstritten ist

Zusammenhangloses Spaziergangsbild aus der Nordstadt. Finde den Fehler

Auch ziemlich weit unten auf besagter Liste stünde der Besuch von Oktoberfesten. Manchmal lässt es sich nicht ganz vermeiden, so veranstaltete unsere Karnevalsgesellschaft heute Abend ein solches in ihrem Zeughaus. Dem konnte ich mich als Mitglied nicht ganz entziehen, zumal ich mich freiwillig als Helfer an der Kasse gemeldet hatte. Wessen ich mich jedoch entzog war das Tragen einer pseudo-bayrischen Verkleidung, weil mir als ostwestfälisch-rheinischer Nichtbayer derartige kulturelle Aneignung albern erscheint, aber wer es möchte, bitte sehr. Ich kann auch ohne Lederhose a Gaudi haben, gell.

Sonntag: Das gestrige Oktoberfest geriet recht angenehm, auch negative Auswirkungen auf das heutige Wohlbefinden blieben weitgehend aus, was vielleicht auf die hohe Qualität des gereichten Festbieres zurückzuführen ist. Gleichwohl verließen wir die Schlafstätte erst spät, warum auch nicht, es ist Sonntag.

Für den Sonntagsspaziergang wählte ich nicht eine der schon oft gegangenen Strecken durch die Südstadt oder an den Rhein, sondern verband ihn, nachdem ich am Donnerstag auf den Geschmack gekommen bin, mit einer weiteren Bus-Erkundungstour. Am Friedensplatz stieg ich in den 608, der über den Rhein, durch Beuel, Pützchen und Holzlar bis zum Endpunkt Gielgen fährt. Schon immer wollte ich wissen, wie es in Gielgen sein mag, wohin die Busse an Wochentagen im Zehnminutentakt fahren. Seit heute weiß ich es: Es ist, ähnlich Lessenich, ein recht ansehnlicher, gewachsener Ort überwiegend mit Einfamilienhäusern.

Zurück ging es zu Fuß, am Wald entlang, durch eine Siedlung von Holzlar mit Bebauung mutmaßlich aus den Siebziger- und Achtzigerjahren. Die Häuser passen architektonisch nicht zusammen, was sehr unharmonisch wirkt. Aber was weiß ich schon über Architektur, man wird sich was dabei gedacht haben. Weiter führte der Weg entlang dem Festplatz von Pützchen, wo gleich vier Trafotürme in unmittelbarer Sichtweite stehen und für die Sammlung fotografiert wurden. (Machen Sie sich keine Sorgen, es geht mir gut. Andere fotografieren Flugzeuge oder seltene Käfer.)

Suchbild – finde die vier Trafotürme
Interessante und harmonische Architektur hingegen in Pützchen

In Beuel beendete ich den Spaziergang nach immerhin achteinhalb Kilometern, als ein Bus kam, der mich zurück in die Innenstadt brachte, wo ich einen Gang über das Bonnfest machte, ehe ich zu den Lieben nach Hause zurückkehrte, wo dieser Wochenrückblick vollendet wurde.

***

Kommen Sie gut durch die Woche, bleiben Sie heiter oder, falls Sie es nicht sind, werden Sie es.

Woche 41/2023: Weitestens bis nach Wesseling

Montag: Morgens auf der Radfahrt ins Werk wurde ich kein einziges Mal von einer roten Ampel aufgehalten, das kommt nicht oft vor. (Gut, die am Hofgarten, die sonst immer grün ist wenn ich komme war schon ziemlich dunkelgrün, aber sie hielt mich nicht auf. *Hüstel*) Ich will das nicht überbewerten, gar als Omen für den Tag oder die Woche sehen, doch war der Start in die Woche vergleichsweise angenehm mit angemessener Arbeitslust und einem nicht gar so tiefen Müdigkeitsloch am frühen Nachmittag.

Mittags nach ungestörtem Essen ging ich eine Runde durch den Park, heute mal in entgegengesetzter Richtung als sonst. Oft führt es zu ganz neuen Perspektiven, wenn man einen Weg andersherum geht, das als Philosophie zum Montag.

Mittags im Park

Auf dem Heimweg kam es beinahe zu einer Kollision mit einer Radfahrerin, die von links von einem abschüssigen Seitenweg auf den Radweg am Rhein schoss, ohne sich um den Querverkehr zu kümmern. Meine Unmutsäußerung erwiderte sie mit einem abfälligen „Ja ja ja“. Dass ich ihr kurz darauf, als sie mich überholte, keine weiteren Beschimpfungen hinterherrief, werte ich als Zeichen der Selbstbeherrschung. Es hätte ja auch nichts genützt. Ja ja ja.

Abends zu Hause

Dienstag: Vergangene Nacht schlief ich schlecht, ohne einen Grund benennen zu können. Weder ging von der Nebenmatratze besondere Unruhe aus, noch plagten mich Schmerzen oder Sorgen. Vielleicht fehlte dem Körper die gewohnte Alkoholzufuhr am Vortag. Das wäre zweifellos bedenklich.

»Parkplätze retten« und »Ausgewogene Verkehrspolitik für mehr Kauflust« fordert die Initiative Vorfahrt Vernunft auf großen Plakaten in der Innenstadt. Parkplätze, Kauflust und Vernunft im selben Atem- beziehungsweise Schriftzug zu nennen zeugt von einer gewissen Ignoranz.

Die Neigungsgruppe Gendergegner:innen hat neue Aufkleber beschafft und bringt sie an öffentlichen Orten an. Immer wieder bemerkenswert, wofür manche Zeit und Geld haben.

Morgens am Rhein fuhr ein Frachtschiff mit dem Namen „Amoureus Meppel“ vorbei. Das wäre ein schöner Romananfang: »Als Amourreus Meppel morgens nach schlecht durchschlafener Nacht erwachte, spürte er, dass dieser Tag die entscheidende Wendung in seinem Leben bringen würde.« Mein Tag verlief und endete hingegen in gewohnten Bahnen und bis zum Zeitpunkt der Niederschrift ohne nennenswerte Wendungen. Das ist nicht zu beklagen.

Mittwoch: Bereits am frühen Morgen wurde ich im Bad getadelt, nachdem beim Zähneputzen einige Wassertropfen auf den Boden geraten waren. Meine Entgegnung, genau deswegen seien Bäder üblicherweise mit Fliesen ausgelegt statt mit Edelvelours, blieb zunächst unwidersprochen.

Heute war es wieder sehr warm. Trotzdem lief ich abends nach erkältungsbedingt zweiwöchiger Pause wieder, es lief sich ganz gut. Am Rhein kamen mir im rasenden Tiefflug Scharen von Halsbandsittichen entgegen auf dem Weg zu ihren Schlafbäumen an der Nordbrücke, wo sie auch heute wieder die Umgebung darunter großflächig vollkötteln werden, während Hundehalter, jedenfalls die anständigen, die Ausscheidungen ihrer Lieblinge ordnungsgemäß in Beutelchen aufsammeln und entsorgen.

Morgen soll es regnen. Morgen habe ich einen Tag frei. Was will man machen.

Donnerstag: Ursprünglich geplant für den heutigen Inseltag war eine Wanderung auf dem Rheinsteig von Linz nach Bad Honnef. Aufgrund des angekündigten Regens war schon gestern klar, daraus wird nichts, dennoch hielt ich an dem freien Tag fest. Wie erwartet regnete es morgens. Anstatt früh aufzustehen, ließ ich es ruhig angehen und begann den Tag mit einem externen Frühstück in dem Café, an dem ich jeden Morgen vorbei komme, wo ich indes noch nie gefrühstückt hatte. Ich war sehr zufrieden und es war eine gute Entscheidung, bereits um kurz nach neun hinzugehen, ab zehn füllte es sich deutlich. Haben die alle nichts zu tun? Kein Wunder, dass die Wirtschaft schwächelt, wenn alle statt zu arbeiten in Cafés herumlungern.

Da es nach dem Frühstück aufhörte zu regnen, beschloss ich, doch noch zu wandern, spontane Alternative: am linken Rheinufer Richtung Köln, so dass ich bei eventuell wiedereinsetzendem Regen jederzeit abbrechen und mit der Bahn zurückfahren konnte. Tagesziel: ungefähr drei bis vier Stunden, weitestens bis nach Wesseling. Die vorsichtshalber eingesteckte Regenjacke und den Regenschirm benötigte ich nicht, im Gegenteil, es hellte zunehmend auf, die Sonne schien, auf halber Strecke verschwand auch die andere Jacke im Rucksack.

Kurz nach vierzehn Uhr erreichte ich bereits Wesseling, nicht unbedingt die strahlendste Perle der Städtebaukunst. Da ich für das übliche Belohnungsbier keine ansprechende Gastronomie vorfand, belohnte ich mich stattdessen im einem großen Supermarkt angegliederten Selbstbedienungs-Café mit Kaffee und einer vorzüglichen Rosinenschnecke. Danach begann es zu regnen, so dass ich für den Weg zur Bahnhaltestelle in Wesseling den Schirm doch nicht ganz umsonst mitgeschleppt hatte. Insgesamt war es wieder beglückend.

Herbst hinter Bonn
Bei Bornheim-Hersel
Man macht es sich in der Sonne gemütlich
Industrieromantik kurz vor Wesseling
Gleichfalls

Gehört, gesehen und gelesen:

Auf dem Weg vom Frühstück nach Hause begegnete mir auf der Kreuzung eine aufgetakelte Schickse mit gepierctem Nasenflügel, die in ihr flach vor den Mund gehaltenes Telefon sagte: „… breitbeinig und willig …“. Dass sie dabei von sich selbst sprach, ist nicht anzunehmen, in diesem Fall allerdings auch nicht ganz auszuschließen.

An einem Lampenpfahl am Rhein klebt ein Zettel. Bevor ich den Inhalt wiedergebe, ein Hinweis an alle, die Lampenpfähle mit Zetteln bekleben: Wenn Sie beabsichtigen, dass andere Ihre Nachricht lesen, sollten die Zettel nicht wesentlich breiter als zehn Zentimeter sein, damit man nicht mehrfach halb hin und her um den Pfahl laufen muss, um den Text zu erfassen. Hier der Inhalt: »Davidoffs Brille blieb auf dieser Bank liegen. Um als Arzt praktizieren zu können, benötigt man beruflich eine Brille. Ich bitte den Finder um Rückgabe unter der Rufnummer 0176 …«. Dass für den Arztberuf neben einem abgeschlossenen Medizinstudium auch eine Sehhilfe erforderlich ist, war mir neu.

Im Café in Wesseling saßen am Nebentisch vier ältere Leute, deren einer nicht gut auf die Politiker zu sprechen war, insbesondere nicht Friedrich Merz. Immerhin. Dann sagte er sinngemäß: „Was wir wieder brauchen ist einer, der richtig durchgreift. Den hatten wir nur einmal, das war …“ Oh nein, jetzt kommt’s, dachte ich, aber nein: „… Helmut Schmidt.“

In Wesseling ging ich an einer Gruppe vorbei: ein kleiner Junge auf einem Spielzeugtraktor, drei oder vier Erwachsene und zwei große Hunde, ein weißer Labrador-Mischling oder ähnliches, der andere ähnlich groß und augenscheinlich genauso gutmütig. Der Junge schrie herzerweichend, weil der Labradormischling schwanzwedelnd direkt vor ihm stand, der andere Hund dahinter. „Willst du den Hund mal streicheln? Kuck mal, der ist ganz lieb. Streichel ihn doch mal“, sagte eine der Frauen zu dem Jungen. Doch der wollte nicht, schrie stattdessen weiter und war nicht zu beruhigen, ganz offensichtlich hatte er Todesangst. Es steht mir nicht zu und normalerweise habe ich kein Interesse daran, anderen Leuten Erziehungsratschläge zu geben, doch hier war ich kurz davor, einzugreifen. Der Junge tat mir sehr leid, hoffentlich wird er nicht später zum Hundehasser.

Laut Zeitung hat Mono heute Namenstag. Der Einohrige.

Freitag: Gute Nachricht, auch wenn Freitag der dreizehnte ist: Kurt Kister ist wieder da mit seiner Wochenkolumne Deutscher Alltag. In dieser Woche erfreut er unter anderem mit diesem Satz: »„Unsere“ Gegenwart wird, so glaube jedenfalls ich, weniger von künstlicher Intelligenz (KI) als vielmehr von natürlicher Unintelligenz (NU) gesteuert.« Möge er trotz Ruhestand noch lange für uns schreiben.

Samstag: Auch heute schien die Sonne, wobei es über Nacht deutlich kühler geworden ist und wohl auch vorerst bleiben soll. Deshalb tauschte ich die leichte Jacke der letzten Monate gegen die Daunenjacke und ich bin fest entschlossen, sie in den nächsten Wochen zu tragen. Auch wenn andere weiter in kurzen Hosen rumlaufen.

In der Zeitung die üblichen Nachrichten: Krieg in der Ukraine und jetzt Israel, Erdbeben in Afghanistan, bekloppte Amerikaner, Erstarken der AfD. Alle irre. Es gelingt mir immer weniger, über solche Dinge angemessen entsetzt zu sein. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist.

Abends feierten wir das vom Karnevalsverein ausgerichtete Oktoberfest mit bayrischem Bier, Blasmusik und reichlich kultureller Aneignung zahlreicher Besucher in Form von Lederhosen und karierten Hemden. (Da ich zuletzt im Alter von etwa acht Jahren eine Lederhose hatte, erkläre ich mich diesbezüglich unschuldig.) Auf der Rückfahrt kam es zu einer anstrengenden Diskussion zwischen dem Taxifahrer, nach eigenen Angaben palästinensischer Abstammung, und dem Liebsten über Islamismus, Religion, Gewalt und den Angriff auf Israel. Während ich hinten saß und die Augen verdrehte, sah ich mich bestätigt in der Überzeugung, niemals mit Fremden über Politik zu diskutieren.

Sonntag: Das Entsetzen traf morgens ein, gerne hätte ich darauf verzichtet. Schon als ich die Nachricht auf dem Telefon sah, kannte ich aufgrund der Absenderin den Inhalt, bevor ich sie gelesen hatte. Schlechte Neuigkeiten Kollegen M. aus unserem Team betreffend. Vor kurzem war er nach einer Urlaubsreise zusammengebrochen, seitdem lag er im Koma, sein Zustand kritisch. Persönlich sahen wir uns nicht sehr oft, weil sein Arbeitsplatz in Norddeutschland war, dafür trafen wir uns mindestens ein- bis zweimal wöchentlich in virtuellen Runden. M. war ungefähr in meinem Alter, was mal wieder zeigt, wie unerwartet und schnell es vorbei sein kann. Sowohl fachlich als auch menschlich wird er uns sehr fehlen. Das wird die kommenden Arbeitstage und -wochen in einen Grauschleier hüllen.

Gerne würde ich diesen Wochenrückblick positiv beenden, nur fällt mir gerade nichts ein; verzeihen Sie bitte.

Abends holte ich für uns Gyros vom Griechen unseres Vertrauens. Damit die Woche doch noch etwas positiv endet.

Spaziergangsbild mit dunklen Wolken

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Kommen Sie gut durch die Woche, möglichst ohne Entsetzen.