Woche 43/2025: Alles in allem zumeist sinnvolle oder wenigstens tagfüllende Tätigkeiten

Montag: Die neue Woche begann mit einer Lüge und einer Fehleinschätzung. Gelogen hatte – mal wieder – die Wetter-App, die morgens anzeigte, der Regen sei durch. Die anschließende Fehleinschätzung lag darin, das, was bei Verlassen des Hauses vom Himmel fiel, als ein paar letzte Tropfen zu interpretieren, die sicher gleich zu fallen aufhören würden, und deshalb das Fahrrad zu nehmen. Nach einer Stunde am Schreibtisch waren die Hosenbeine wieder trocken.

Dessen ungeachtet gingen mir die Gewerke ganz gut von der Hand und der Arbeitstag endete zeitig, man muss es nicht gleich zu Wochenbeginn übertreiben, nicht wahr.

In einer Regelung las ich das Verb „händeln“. Wie eine schnelle Duden-Recherche ergab, gibt es das Wort nicht, oder jedenfalls kennt es der Duden noch nicht, obwohl es in fast jeder Besprechung gebraucht wird und dann mutmaßlich alle wissen, was gemeint ist.

Die Rückfahrt erfolgte indessen trocken bei herbstlicher Milde unter einem blaufleckigen Himmel, freundlicher Rückenwind schob mich am Rheinufer dem trauten Heim entgegen.

Es gab schon wesentlich beschwerlichere Montage.

Dienstag: Zu Fuß ins Werk und zurück, wobei es morgens wesentlich dunkler war als vergangene Woche um dieselbe Zeit, was an der weitgehend geschlossenen Wolkendecke gelegen haben mag. Nächste Woche wird es dann dank Uhrenumstellung wieder heller sein.

Zurück nahm ich einen kleinen Umweg, weil es mild und ich guter Hoffnung war, dass es beim Salvator noch Oktoberfestbier gibt. Ich wurde nicht enttäuscht.

Die Tage wurde ich in einem Formular mal wieder nach meinem Beruf gefragt. Dann weiß ich nie, was ich antworten soll. Eine Ausbildung hatte ich schon, darf mich seitdem Diplomverwaltungswirt nennen, meine derzeitige Stellenbezeichnung lautet Senior-Experte oder Senior Specialist, also nichts, worunter Betriebfremde sich etwas vorstellen können wie etwa bei einem Tischler, Lokführer oder Pornodarsteller. Ich gehe täglich ins Büro und mache dort typische Bürodinge wie Mails lesen und schreiben, telefonieren, an Besprechungen teilnehmen, Kästchen ausfüllen. Manchmal räume ich zur Pflege des Kaffeeküchenkarmas die Spülmaschine ein oder aus, oder befreie den Abfluss im Waschbecken der Toilette von Papierfetzen, auf dass das Wasser wieder ablaufe. Alles in allem zumeist sinnvolle oder wenigstens tagfüllende Tätigkeiten, für die es indes keine griffige Berufsbezeichnung gibt. Heute beim Gehen fiel mir die Antwort ein: Ich bin ein Bürokrat. Da dieser Begriff eher negativ besetzt ist, gebe ich beim nächsten Mal vielleicht Büroiker oder Büronaut an. Vielleicht auch nicht, ich sollte noch ein wenig darüber nachdenken.

Morgens
Nachmittags

Mittwoch: Kürzlich wurde mit „Das crazy“ das Jugendwort des Jahres bestimmt. Nach der umstrittenen Äußerung des Bundeskanzler das Stadtbild betreffend und der deshalb herrschenden allgemeinen Empörung dürfte nun auch das Unwort dieses Jahres gefunden sein.

Nicht empört, vielmehr erfreut war ich über die nachmittags im Briefkasten vorgefundene Postkarte mit Alpakabezug. Lieber T., herzlichen Dank dafür!

Nachtrag zu den gestrigen Berufsbezeichnungsüberlegungen: Wie wäre es mit Bürologe, -nom oder -mane?

Donnerstag: Sturmtief Joshua zeigte sich wenigstens hier einigermaßen verträglich und ermöglichte mir den Fußweg ins Werk und zurück, ohne nennenswert nass zu werden. Ab dem Nachmittag ließ stärkerer Wind den Turm knarzen wie ein Schiff bei Seegang. Laut einem in der Zeitung zitierten Meteorologen ist der Vollherbst da, ein mir neuer Begriff. Demnach hatten wir bislang Halb- oder Teilherbst.

„Ich bin kürzlich auf deinen Hintergrund gestoßen und war wirklich beeindruckt von der Tieffe an Erfahrung, die du im digitalen Bereich aufgebaut hast. Dein Profil zeigt eine starke Mischung aus Führungskompetenz, Leistungsverständnis und strategischem Denken.“ Tieffe? Führungskompetenz, Leistungsverständnis? Ich? Manche Versender von Spam versuchen gar nicht erst, ihre Absichten zu verschleiern.

Turmblick Richtung Innenstadt

Freitag: Aus der Täterbeschreibung in einem Zeitungsartikel: „Er trug eine Glatze“.

In einem werksinternen Dokument las ich mehrfach das etwas antike Adverb „mithin“ und freute mich darob.

Zwischenzeitlich schaute ich per Webcam immer wieder nach Büsum, wo Joshua die Nordseefluten gegen den Deich trieb. Deswegen blieb die Hafenschleuse geschlossen und die Funny Girl im Hafen anstatt nach Helgoland zu fahren. Hier bei uns war es hingegen vollherbstlich ruhig und überwiegend trocken, so dass die Radfahrt ins Werk und zurück unbeweht und -regnet möglich war.

Turmblick in Richtung Venusberg
Tosende Nordsee

Samstag: Heute feiert einer in diesem Haushalt runden Geburtstag. Das leitet elegant über zur nächsten Frage der Woche.

Nummer 50 lautet: „Was kannst du richtig gut?“ Hier muss die Antwort leider lauten: nichts. Jedenfalls fällt mir nichts ein, was ich gut oder wenigstens besser als die meisten anderen kann, vielmehr liegen die meisten meiner Fähigkeiten im Mittelmaß. Damit komme ich bislang gut zurecht und beklage mich nicht.

Der oben genannte Geburtstag ist übrigens verbunden mit einem Reisebeschluss nach Paris im nächsten Mai. Somit werde ich dort auch endlich mal gewesen sein und muss mich nicht länger fragen lassen: „Was, du warst noch nie in Paris?“

Zur Feier des Tages waren wir abends im GOP-Theater, wo die Show „Youniverse“ gegeben wurde, zuvor stärkten wir uns im angeschlossenen Restaurant. Verglichen mit früheren Besuchen waren wir von der Show etwas enttäuscht: Es wurde weniger beeindruckende Akrobatik geboten, und die dahinterstehende Geschichte, irgendwas mit digital, erschloss sich uns nicht. Es war dennoch ein unterhaltsamer Abend.

Durchgang am GOP

Sonntag: In der Sonntagszeitung las ich mit Schaudern einen Artikel über ein mögliches künftiges Weltgefüge, in dem die Macht aufgeteilt ist auf die USA, Russland und China, wobei Deutschland dem russischen Block zugeteilt wird. Und das möglicherweise schon sehr bald, ab 2028, wenn nach den nächsten Wahlen in Europa die rechten Parteien erstarken. Vielleicht hat es längst schon begonnen und das, was gerade um uns herum geschieht, ist so wenig aufzuhalten wie der Klimawandel. Alles in allem keine guten Aussichten für Menschen, die nicht weiß, christgläubig und heterosexuell sind. Das kann die Laune schon trüben; man muss dankbar sein für jeden Tag, an dem man in Ruhe leben und lieben kann, wie man will.

Zur Hebung der Laune unternahm ich einen langen Spaziergang auf die andere Rheinseite, dabei fiel mir einiges zum Thema Stadtbild auf:

Stadtbild I
Stadtbild II
Stadtbild III
Stadtbild IV mit „Sitzgruppe“
Stadtbild V
Stadtbild VI
Stadtbild VII
Stadtbild VIII
Stadtbild IX

Viel besser wurde die Laune nicht.

***

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Kommen Sie gut durch die Woche und lassen Sie sich nicht erschaudern.

19:00

Woche 20: Künstliche Zoom-Hintergründe

Montag: Die größte Leistung bestand heute mal wieder darin, nach vier freien Tagen acht Stunden lang den Dingen Interesse entgegen zu bringen, für die zu interessieren ich ganz gut bezahlt werde.

Erster Gedanke in Besprechung mit junger Kollegin: Gleich sagt sie „genau“. Sie hat mich nicht enttäuscht.

Die Zeitung berichtet über ein Treffen von rund zweihundertfünfzig PS-Äffchen am vergangenen Samstag in Sankt Augustin. Auf einem Parkplatz präsentierten sie sich gegenseitig ihre Geschlechtsteile Fahrzeuge, unter Verzicht auf Masken und Abstand, dafür mit Musik und Tanz. „Die Polizei war nach Angaben der Leitstelle vor Ort, habe aber keine Straftaten festgestellt. Für die Kontrolle der Corona-Vorschriften sei das Ordnungsamt zuständig“, so die Zeitung. Es ist schön, in einem Land mit klaren Zuständigkeiten zu leben.

Abends verursachte eine arglose Frage zu Ölsardinen heftige, völlig unnötige und zum Glück nur kurzzeitige Reibungen. Ansonsten geht es uns gut.

Dienstag: Die bevorstehende Ablösung des Fußballpräsidenten bezeichnete die Frau im Radio morgens als „eine ernste Frage“. Dagegen ist der Nahostkonflikt natürlich ein Fliegenschiss.

Journalistisch Gelungeneres dagegen in der Zeitung über die Verbreitung der indischen Virusvariante in Groß Britannien: „… ein Wettrennen zwischen Infektion und Injektion“.

Mittwoch: In einer Besprechung wurde verkündet, dass ein nicht anwesender Kollege Vater geworden sei („Ein ganz süßes Kind“). Darauf die auch sonst von mir sehr geschätzte Kollegin C: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm gratulieren oder ihn dafür bedauern soll.“ Ein besonderer Moment, wenn jemand ausspricht, was ich allenfalls im Stillen zu denken wage. Respekt, liebe C!

Donnerstag: Heute nahm ich an einer der bei uns glücklicherweise noch immer seltenen Videokonferenzen teil. Künstliche Zoom-Hintergründe sind ja auch so eine eher spezielle Sache: Man sieht die Kollegen, während sie „genau“ (45 mal), „quasi“ (25 mal) und „tatsächlich“ (nur einmal) sagen, virtuell am Strand, in den Bergen, in einer tristen Fabrikhalle, an einer pittoresken, villengesäumten Allee oder anderen Orten, wo man währenddessen eben viel lieber wäre als im Büro oder am Heimarbeitsplatz. Da ich nicht weiß und es mich nicht im Geringsten interessiert, wie man das bei Zoom einstellt, zeigte mich das Bild ganz normal im Büro, wobei ich mich erst daran gewöhnen musste, nicht desinteressiert die Augen zu verdrehen, als einer anfing, von seinem Hund zu erzählen. Bester Satz des Einladenden, als einer eine textschwangere Präsentation zeigen wollte: „Ich mach dich zum Host.“ Gibt es eigentlich auch den Vollhost?

Freitag: Liebe Kollegen*, es macht mir wirklich überhaupt nichts aus, regelmäßig in der Kaffeeküche die Spülmaschine auszuräumen, das ist vielleicht gut für mein Kaffeeküchenkarma. Doch verratet mir bitte: Welchen Sinn hat es, Besteck mit dem Griff nach unten in den Besteckkorb zu stecken? Es wird dadurch nicht sauberer, und beim Entnehmen muss ich es dort anfassen, wo ihr es später in den Mund steckt.

Frage der Woche: Wann haben Sie das letzte Mal vor Weiterleitung einer längeren Mailkommunikation geschaut, ob der Betreff noch zum Inhalt passt?

Eigenlob verpflichtet: Die erste epubli-Abrechnung für „Herbsterwachen“ ist eingetroffen, demnach wurde im zurückliegenden Monat ein Buch verkauft. Na also, die Mühen und Entbehrungen der letzten Jahre beginnen, sich auszuzahlen, wenn auch zunächst verhalten, aber das wird schon. Lieber Käufer*, ich hoffe, Sie bereuen die Ausgabe nicht und empfehlen es weiter.

Samstag: Im Zusammenhang mit der gestern beschlossenen Kükenverschonung steht in der Zeitung das wunderschöne Wort „Zweinutzungshühner“. Biologisch bemerkenswert auch dieser Satz: „Dabei sollen weibliche Küken Eier legen.“

Seit heute dürfen auch in Bonn Läden und Außengastronomie wieder öffnen. Leute stehen Schlange für ein zweifelhaftes Getränk, das als „Bubble Tea“ bezeichnet wird und mit „Blasentee“ wenig gemein hat.

Kennen Sie noch Hermann Hoffmann? Er war in den Achtzigern mit seiner „Kleinen Dachkammermusik“ Teil der Radiounterhaltung am Samstagnachmittag, als das Wort „Comedy“ zumindest bei uns in Ostwestfalen noch nicht gebräuchlich war. Die Sendung wurde stets eingeleitet mit einer schief intonierten Kinderflöte, dann folgten ungefähr eine Viertelstunde lang witzig-absurde Szenen und Lieder mit Herrn Hoffmann, seiner Frau, den Herren de Vries, Schräuble, Schotterbeck und anderen; alles gespielt und gesprochen von Hermann Hoffmann daselbst. Lange ist es her.

Wie ich darauf komme: Etwas Ähnliches hat mein lieber Kollege Farhad Shahed nun gemacht, nur nicht im Radio, sondern im Netz: „Dark Day“, mit ihm daselbst in allen Rollen. Schauen Sie es sich an – es lohnt sich.

Übrigens: Wenn beim Scrabble richtig viele Punkte machen wollen, merken Sie sich das Wort „Shershenowiskanajaskiana“.

Sonntag: Ich habe angefangen, „Die Selbstgerechten“ von Sarah Wagenknecht zu lesen. Wenngleich ich mich nicht als der Dame und ihrer Partei nahestehend betrachte, gefällt mir doch sehr gut, wie sie den Linksliberalen, oder, wie sie sie nennt, „Lifestyle-Linken“, das sind die, denen Gendersterne wichtiger sind als gerechte Entlohnung, wie sie denen also – mit generischem Maskulinum – ordentlich die Uhr stellt.

Eins meiner persönlichen Probleme mit links sind übrigens konsequent linksgehende Fußgänger*, die mir auf dem Gehweg entgegenkommen und mich so zum Ausweichen nötigen. Vielleicht haben die noch den Satz „Links gehen – der Gefahr ins Auge sehen“ allzu sehr verinnerlicht, der uns als Kinder mit auf den Weg gegeben wurde, wenn wir eine Landstraße ohne Bürgersteig entlanggehen mussten. Alles vorbei: Heutige Kinder laufen nicht mehr entlang solcher Straßen, und Bürgersteig sagt man wohl auch nicht mehr. Auch nicht Bürger*innensteig.

Übrigens, wundern Sie sich bitte nicht über die neue Optik dieses Blogs. Seit gestern ließen sich Artikel nicht mehr über das MacBook bearbeiten oder neu anlegen. Da laut WordPress das bisherige Theme nicht mehr unterstützt wird, dachte ich, vielleicht liegt es daran, und habe kurzfristig die virtuelle Stube neu tapeziert. Daran lag es dann aber doch nicht, sondern an irgendwelchen Cookies, wie der Liebste herausfand. Das bisherige Design gefiel mir zwar etwas besser, aber an das neue werde ich mich wohl auch bald gewöhnen, es schadet ja fast nie, mal was zu ändern.

* Das Experiment Gender-i‘ erkläre ich für beendet. Kann man machen, muss man aber nicht. Deshalb, liebe Damen und Diverse, bitte fühlen Sie sich ausdrücklich mitgedacht.