Woche 31/2025: Es schadet ja nicht

Montag: Der Regen am Sonntag vertrieb vorerst die sommerliche Wärme und brachte Jackenkühle ins Land. Morgens ließ sich bereits ein erster Hauch von Herbst erahnen, vorläufig noch eher ein Gefühl denn eine Wahrnehmung, doch sehr lange dauert es nicht mehr, bis es deutlich wahrnehmbar später hell und früher dunkel wird, die Luft ein erstes herbstliches Aroma annimmt. Die Mauersegler sind bereits fort und in München wird das Oktoberfest aufgebaut.

Beim Brötchenkauf am Abend nahm ich einen Gesprächsschnipsel zwischen zwei jungen Männern wahr, deren einer also sprach: „Ich muss meine Agenda vorantreiben“. Ich berichte das, weil das Gesagte in erfrischendem Widerspruch stand zu der Form, wie es gesagt wurde: Während der Satz sich in bestem Businesskasperdialekt liest, bediente sich der Sprecher reinster Kanakensprache, Verzeihung: Kanaksprak.

Dienstag: Ein weiteres Kennzeichen des nahenden Herbstes ist alljährlich die absurde Empörung über Dominosteine in den Supermärkten im Spätsommer, als gäbe es eine Kaufverpflichtung. WDR 4 fragte morgens gar seine Hörer nach ihrer völlig unmaßgeblichen Meinung dazu. Vielleicht sollte man Marzipankartoffeln, Spekulatius und Dominosteine einfach ganzjährig anbieten, dann hätte sich diese unsinnige Diskussion erledigt. Käufer fänden sich bestimmt.

Auf dem Fußweg zurück vom Werk ging ich einer dunkel dräuenden Wolkenfront entgegen, die laut Wetter-App nördlich vorüber ziehen würde. Leider fühlte sich die Front nicht an die Vorhersage gebunden, vielmehr trieb sie mich mit Wind und dicken Tropfen in eine Gaststätte. Was soll man machen.

Noch in sicherer Entfernung

Im Feuilleton der Tageszeitung ein Gedicht von Ernst Jandl: „das stück, darin / ich keine Rolle spiele / ist meines.“ Ich fühle mich seltsam angesprochen.

Mittwoch: Heute gingen Anzugwetter und Anzugtragelaune eine günstige Konstellation ein, was meine Bekleidungsauswahl am Morgen entsprechend beeinflusste. Manchmal muss es sein, auch wenn ich auf der Etage anscheinend der Letzte bin, der daran noch Freude hat. Deshalb erst recht.

Warum halten es manche für intellektuell schick*, „wishlist“ sagen zu müssen, wenn sie Wunschzettel meinen? Oder „out of office“, wenn sie keine Lust haben, ins Büro zu kommen?

*vor einiger Zeit gelesen bei Frau Anje, für gut befunden und notiert. Mit herzlichem Gruß nach Greven oder Borkum.

Vielen Dank an den Schweizer Tagesanzeiger für das erhellende Lesebeispiel:

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Vormittags kehrte der Liebste wohlbehalten von der Geschäftsreise aus Amerika zurück. Meine leise Befürchtung, sie könnten ihn dort behalten oder gar nicht erst reinlassen, weil sie im Blog seines Gatten, also hier, antipräsidiale Lästereien ausgemacht haben, hatte sich zum Glück nicht bewahrheitet. Man muss ja mittlerweile auf alles gefasst sein.

Donnerstag: Morgens gehe ich regelmäßig an der recht neuen Filiale der großen amerikanischen Cafékette am Marktplatz vorbei. Sie wirkt sehr einladend. Vermutlich würde ich sie gelegentlich aufsuchen, wenn es nicht die große amerikanische Kette wäre.

Am Rheinufer kläffte mich morgens ein Dackel an. Da mir Dackel grundsätzlich sympathisch sind, verzichtete ich auf eine Unmutsäußerung gegen das Tier und bemerkte in Richtung der Halterin: „Der hat ja eine große Klappe.“ Daraufhin erwiderte sie: „Ja, der ist total bekloppt.“ Das fand ich auch sehr sympathisch.

Vergangene Woche äußerte ich mich lästerlich gegen Klappfahrräder und deren Nutzer. Völlig unklar ist mir hingegen der Sinn dieser Fahrradmonster mit Walzenreifen dick wie Feuerwehrschläuche, deren grobstolliges Profil ein bedrohlich klingendes Singen erzeugt, wodurch ihr Herannahen schon aus der Ferne zu vernehmen ist. Ungefähr so sympathisch wie sogenannte Sportwagen mit knallfurzendem Auspuff.

Auf dem Rückweg sah ich einen Jugendlichen, der die meisten Klischees erfüllte: Trinkflasche in der Hand, Ohrstöpsel, und vor jedem vierten Fenster blieb er stehen, um sich in dessen Spiegelung die Alpakalocken zurecht zu wuscheln, die danach genauso lagen wie vorher. Auch irgendwie sympathisch.

Gelesen unter einem Blogartikel: „Dieser Beitrag erschien zuerst am 31. Mai 2018 und wurde leicht geändert, aber nicht gegendert.“ Wie mögen die drei letzten Wörter zu verstehen sein: als Trotzreaktion oder als Entschuldigung?

Gedanke: Kann es sein, dass bei Kolleg*innen, Kund*innen und Expert*innen jeweils männliche Personen ausgeschlossen werden, bei Lehrer*innen, Radfahrer*innen und Stahlträger*innen hingegen nicht?

Freitag: Was schön war: Die für heute angekündigten Schauer mit Starkregen und Gewitter fielen zumindest hier aus, so dass ich weitgehend unberegnet zum Werk und nicht allzu spät zurück radeln konnte; auf dem Rückweg fielen nur wenige Tropfen, die nicht weiter störten. Auch sonst bot dieser letzte Arbeitstag der Woche keinen Grund zum Unmut. Man muss sich auch über kleine Dinge freuen können, ganz wichtig.

Samstag: Nachdem wie berichtet vor zwei Wochen der Pride Bonn stattfand, schloss sich heute Beethovens Bunte an, gleichsam der Bonner CSD. Warum es innerhalb so kurzer Zeit zwei derartige Veranstaltungen mit identischem Anliegen gibt, weiß ich nicht, aber es schadet ja nicht. Vor zwei Wochen äußerte ich mich erleichtert darüber, dass es keine Störungen durch sogenannte Rechte* gab. Das war heute anders: Am Rande des Münsterplatzes hatte sich mittags ein Grüppchen dunkel gekleideter junger – nun ja: Männer mit einem Banner platziert; ein pickelgesichtiger Jüngling plärrte etwas unbeholfen akustisch schwer verständliche, mutmaßlich homophobe Parolen in ein Megafon. Sie waren zu siebt, laut Zeitung waren sechzig angemeldet. Den sieben Zwergen ohne Schneewittchen stand eine wesentlich größere Gruppe linker Aktivisten gegenüber, die deren verbale Absonderungen lautstark übertönten. Was genau sie erwiderten, war ebenfalls akustisch schwer zu verstehen, doch fand ich ihre Überzahl beruhigend, auch wenn ich mit den Zielen und Aussagen linker Aktivisten nicht immer vorbehaltlos übereinstimme.

*Es fällt mir weiterhin schwer, sie so zu nennen, steckt dasselbe Wort doch auch in Menschenrechte, Gerechtigkeit und Rechtsprechung.

Als ich nachmittags im Rahmen des Leergutentsorgungsgangs nochmals den Münsterplatz aufsuchte, waren sowohl die rechten als auch die linken Schreihälse verschwunden, man hatte sich wohl gegenseitig heiser geschrieen. Stattdessen fand das CSD-Fest im gewohnt friedlichen Rahmen statt mit Bühnenprogramm, Informationsständen und einem Getränkestand, wo ich zum Zeichen der Verbundenheit zwei Kölsch trank und das regenbogenbunte Treiben betrachtete. Hoffentlich ist das noch lange ungestört möglich. Heute waren es nur sieben.

Anfang September 1999 gab es diese Veranstaltung unter der Bezeichnung „Schwul-lesbisches Sommerfest“ zum ersten Mal in Bonn. Damals war ich mitten dabei und bekam doch nicht viel davon mit, weil ich selbst in der Getränkebude stand, wo viel zu tun war. Sechsundzwanzig Jahre ist das her, wie die Zeit vergeht.

Das bringt mich zur nächsten Frage. Nr. 26 lautet: „Warst du ein glückliches Kind?“ Ja, das war ich, auch wenn ich auf Schulsport und den zu häufig gehörten Satz „Du musst mehr essen, damit du was auf die Rippen bekommst“ gerne verzichtet hätte. Doch das Gute überwog bei weitem, es hat mir an nichts gefehlt, dafür bin ich sehr dankbar.

Aus einem Zeitungsartikel über unterschiedliche Serienkuckgewohnheiten von Männern und Frauen: „… 44 Prozent der weiblichen Zuschauenden, aber nur 38 Prozent der männlichen …“

Sonntag: Neununddreißigtausend Rolltreppen, amtlich „Fahrtreppen“ gibt es in Deutschland, steht in der Sonntagszeitung. Außerdem ist heute nationaler Senftag, weiß der kleine kalender. Somit wissen Sie das nun auch, falls Sie mal danach gefragt werden sollten oder auf einer Party sind, wo die Gespräche zu versiegen drohen.

Beim Spaziergang sah ich einen, der mit einer Hand einen Kinderwagen schob, in der anderen hielt er – nein, kein Datengerät, sondern eine Bierflasche. Vielleicht sollte man auch für Elternschaft eine Art Führerschein einführen.

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, kommen Sie gut durch die Woche.

Redaktionsschluss: 17:00