Woche 50/2024: Verwendungsfreie Wörter und angemessene Getränkebegleitung

Montag: Aus einer Intranet-Mitteilung: „Was sieht man lieber als lächelnde Kinderaugen? Nichts.“ Ungeachtet der Frage, wie man Augen zum Lächeln bringt – als eher antinatalistisch eingestellter Mensch entzücken mich derlei Anblicke nicht übermäßig, dennoch würde ich sie einer oben nahegelegten Erblindung ganz klar vorziehen.

Was nur wenig entzückt ist Liederlichkeit in der Berichterstattung. Liebe dpa, Kohlenmonoxid ist ein unsichtbares und geruchloses Gas, mit Rauch kaum zu verwechseln, das sollten Sie wissen.

(Aus General-Anzeiger Bonn)

Ebenfalls nicht zu verwechseln aufgrund unterschiedlicher Bartpracht sind die zwei syrischen Brüder, die nebenan den Friseurladen unseres Vertrauens betreiben und schon lange in Deutschland leben. Dort war ich am Abend zur Nachschur. Da ich annehme, dass sie es heute schon ganz oft beantworten mussten und in den kommenden Tagen weiterhin müssen, verzichtete ich darauf, sie nach ihrer Einschätzung der aktuellen Entwicklungen in ihrem Heimatland zu fragen. Aus ähnlichen Gründen vermeide ich es grundsätzlich, jemanden mit einem augenscheinlich verarzteten Körperteil nach der Ursache zu fragen.

Vielleicht wurde er/sie/es in der Fußgängerzone von einem radelnden Speisesklaven umgemäht. Über nämlichen Berufsstand ergeht sich Herr Gunkl in interessanten Betrachtungen:

„Im Fernsehen gibt es gleichermaßen echt viele Kochsendungen und echt viel Werbung für Essensbringdienste. Das ist nur dann ein Widerspruch, wenn man nicht weiß, daß die Menschen, die Pornos anschauen, sich sehr selten an interpersoneller Lustventilation beteiligen. Es geht nicht darum, das nachzumachen, sondern man sieht’s halt gern, und die in der Darstellung gezeigte Problemlösung wird in der billigstmöglichen Art erledigt.“

Dienstag: Um fünf Uhr früh erwachte ich aus einem unspektakulären Traum, dessen Inhalt sogleich verflog, und schlief bis zum Wecker eineinhalb Stunden später nicht mehr ein, obwohl mich weder trübe Gedanken noch Schmerzen noch störende Schlafgeräusche von nebenan daran gehindert hätten. Stattdessen fiel mir ohne erkennbaren Grund ein weiteres komisches Wort ohne akuten Verwendungszweck ein, das ich mir immerhin merkte, um es nach dem Aufstehen für einen eventuellen späteren Gebrauch zu notieren: Pudelzucker. Weitere früher notierte, bislang verwendungsfreie Wörter sind: Antischocken, Apothekalypse, Bedonis, Blamierraupe, Eisprung-Weltrekord, Hedonistan, Inflatulenzer, Kackordnung, Katholiker, Konsensmilch, Nudistan, Pfarrerflucht, Pilsener Urknall, Reiseamboss, Rekanalisation, Reinhardsgebot, Reinheitsgebet, Schnapsatmung, Stinktanga, Tindermädchen, Wixiklo. Immerhin werden Stinktanga und sechs weitere von der Rechtschreibprüfung nicht beanstandet, Sie dürfen gerne raten, welche. Ansonsten dürfen Sie sich gerne bedienen, wenn Sie eins oder mehrere gebrauchen können.

Ohne erkennbaren Sinn auch, was morgens im Radio gemeldet wurde: Die Jura-Studenten der Uni Bielefeld müssen ihre Examensklausuren im siebzig Kilometer entfernten Hamm schreiben, weil an der heimischen Hochschule die Toiletten defekt sind. Einige reisen sogar am Vortag an, um pünktlich zu erscheinen. Manches muss man nicht verstehen. Warum stellt man in Bielefeld keine Toilettenwagen oder WDixiklos auf, sind die den Herrschaften in der kalten Jahreszeit nicht zumutbar? Warum ausgerechnet Hamm?

Warum nicht zum Beispiel Duisburg? Von dort erreichte mich heute der nächste Brief des Blogkollegen. Dieses Mal nicht handschriftlich, sondern mit einer echten Schreibmaschine geschrieben, einschließlich weniger über-x-ter Tippfehler, die dem Brief schon optisch eine individuelle Anmutung verleihen. So einen habe ich schon lange nicht mehr gesehen, geschweige denn im Briefkasten gehabt. Lieber M., herzlichen Dank dafür! Antwort folgt. Demnächst.

Mittwoch: Kollegen, die schon morgens um acht bei Ankunft im Büro „Mahlzeit“ sagen, verfügen auch über einen sehr speziellen Humor.

Kantinengespräch während der Mahlzeit, nachdem die Kollegin begeistert von unserer Lesung vergangene Woche erzählt hatte: „Was, du bloggst? Ein Buch hast du auch geschrieben? Warum weiß ich davon nichts?“ – Vielleicht zur Wahrung des Bürofriedens.

Die Tage hat ein Frachtschiff auf der Mosel ein Schleusentor schwer beschädigt, voraussichtlich werden sich die Reparaturarbeiten bis März hinziehen. Bis dahin wird die Schleuse nicht passierbar sein, zurzeit hängen siebzig Schiffe fest. Der erwartete Schaden für die Wirtschaft ist immens:

General-Anzeiger Bonn

Wort des Tages, aus einem Versprecher des Geliebten und sogleich notiert: Eierzangenbowle.

Frohes Fest (gesehen auf dem Bonner Weihnachtsmarkt, ansonsten versichere ich, damit nichts zu tun zu haben)

Donnerstag: Ich war nicht selbst dabei, jedenfalls wurde mir durch eine verlässliche Quelle folgender Satz aus einer Besprechung zugetragen: „Das ist doch eine Milchpersonrechnung.“ Übrigens heißt es in bestimmten Kreisen wohl nicht mehr „Mutter“, sondern „milchgebende Person“. Immerhin wurde „Milch“ noch nicht durch „Nachwuchsnährsekret“ ersetzt.

Freitag: Der Tag begann mit einem regelmäßigen Zahnarztbesuch, ansonsten lag eine gewisse Müdigkeit darüber. Ein Zusammenhang mit einem kollegialen Weihnachtsmarkbesuch am Vorabend ist nicht völlig auszuschließen.

Beim Mittagessen wurde ich Opfer eines langen Monologs zu Brandbekämpfung. Der Kollege ist Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, was ohne Frage zu loben ist. Doch schafft er es immer wieder, von jedem beliebigen Thema zu seinem Lieblingsthema zu wechseln, schlimmstenfalls zeigt er dazu auf seinem Telefon Bilder von Feuerwehrfahrzeugen. Ich mag nicht auf anderer Leute Telefone schauen, es ist eine Unflätigkeit, sie mir ungefragt vor die Nase zu halten. Bei solchen Anlässen gelingt es mir ganz gut, Zuhören zu simulieren, ab und zu fließt automatisch ein „Aha“ oder „Mmh“ ein, manchmal sogar „Sieh mal an“ und ähnliche scheinbare Interessensbekundungen, während ich gedanklich woanders bin und hoffe, der Redefluss des Gegenübers möge bald versiegen. Immer wieder erstaunlich, dass die Leute das nicht merken. Eigentlich ist das sehr unhöflich von ihnen.

Gehört in einer Besprechung: „Das halte ich für kreuzgefährlich.“ Verstehe ich nicht, allerdings wollte ich den Verlauf durch Nachfragen nicht unnötig in die Länge ziehen.

In einer anderen Besprechung zuckte der Sprachnerv etwas, als nämliches gefragt wurde: „Braucht ihr das detailliert oder etwas high leveler?“

Samstag: Ein angenehmer Tag mit den üblichen Samstäglichkeiten ohne besonderen Notierenswert.

Laut kleiner kalender ist heute Affentag. Aus der Beschreibung: „Der Affentag soll durch individuelle Aktionen begangen werden, beispielsweise indem man sich mit einem Affenkostüm verkleidet oder wie ein Affe spricht und gestikuliert.“ Sprechen wie ein Affe? In dieser Hinsicht machen sich viele Mitmenschen täglich zum Affen.

Abends waren wir auf der Weihnachtsfeier der Karnevalsgesellschaft. Traditionell gab es das rheinische Gericht auf Kartoffelbasis, das je nach Laune, Postleitzahl oder was weiß ich mit unterschiedlichen Bezeichnungen auf den Teller kommt, unter anderem Külles, Kesselsknall, Döppekuchen. Schmeckt jedenfalls sehr gut. Dazu gab es eine angemessene Getränkebegleitung; gelacht und gesungen wurde auch.

Sonntag: Gelesen bei Herrn Buggisch und zustimmend genickt:

Taylor Swift, jenes musikalische Phänomen, das mir Rätsel aufgibt. Rätsel Nummer 1: Wie heißen ihre Songs? Ich kann spontan keinen einzigen Titel nennen. Rätsel Nummer 2: Wie klingen ihre Songs? Ich habe spontan keine einzige Melodie von ihr parat. Und ich bin eigentlich ziemlich gut in so was. Ich mag Musik, ich höre viel Musik, und meine Frau staunt immer ein bisschen, wenn ich bei einem Lied im Radio nach 3 Sekunden Künstler und Titel nennen kann. Aber zugegeben: Das ist Musik aus andern Zeiten. Es ist also gar nicht so, dass ich Taylor Swifts Musik nicht mag. Sie existiert für mich nicht.

Beim Spaziergang sah ich erstmals einen der neuen Straßenbahnwagen in freier Wildbahn. Im Übrigen zeigte sich der Tag, nach anfänglich blauen Stellen am Himmel, dezembrig-grau. Aber das mag ich ab und an durchaus ganz gerne.

Rheingrau
Wagen 2253 auf dem Weg nach Auerberg. Hübsch, finde ich.

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Kommen Sie gut durch die vorletzte Woche des Jahres.

5 Gedanken zu “Woche 50/2024: Verwendungsfreie Wörter und angemessene Getränkebegleitung

  1. Avatar von Christine Christine Dezember 17, 2024 / 08:40

    In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, gibt es den „Affendienstag“. Das ist der Tag nach dem Schützenfest, das bis einschließlich Montag geh, an dem das ganze Dorf „Im Salz liegt“, also verkatert ist.

    „Blamierraupe“ finde ich für mich eine großartige Selbstbezeichnung, weil ich manchmal kein Fettnäpfchen auslasse! Danke für die Kreationen!

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  2. Avatar von Unbekannt Anonymous Dezember 20, 2024 / 12:23

    Als Freund der kontrollierten Eskalation empfehle ich Ihnen, sich beim Feuerwehrmann mit einer möglichst umfangreichen Sammlung von Lok-Bildern zu bedanken. Natürlich mit Diskussion des Für und Widers jeder Baureihe.

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    • Avatar von Postwestfale Postwestfale Dezember 20, 2024 / 12:25

      Das würde nichts nützen, auch der Bahn als Thema ist er nicht abgeneigt.

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    • Avatar von Kay Kay Dezember 20, 2024 / 12:33

      Na dann viel Spaß, sage ich als doch regelmäßiger Zuschauer von ‚TrainTV‘ etc. auf YouTube (hilft mir auch beim ‚Herunterkommen‘).

      Aber ich gönne andererseits Menschen, die sich öffentlich und ehrenamtlich engagieren, durchaus ein bisschen Stolz und Komplimente-Haschen.

      Kay

      (mein ursprünglicher Kommentar war aus Versehen anonym)

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      • Avatar von Postwestfale Postwestfale Dezember 20, 2024 / 12:58

        Gewiss. Aber doch nicht jedes Mal.

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