Es gibt wieder Grund zur Empörung, vermutlich sind die Grünen schuld oder die Bürokraten in Brüssel. Nein, keine neuen Vorgaben, wie man sein Haus zu beheizen hat. Auch werden Gendersterne nicht verbindlich eingeführt, und auf deutschen Autobahnen darf weiterhin ungehemmt gerast werden. Gegenstand des Anstoßes sind die Plastikverschlüsse von Einwegflaschen und Getränkepackungen, die nun gemäß einer neuen Vorschrift über eine Lasche fest mit dem Behältnis verbunden sein müssen und sich ohne Gewalt oder technische Hilfsmittel nicht mehr ablösen lassen. Zweck der Verordnung soll die Vermeidung von Plastikmüll in den Meeren sein. Ob es nützt, ich weiß es nicht; ob die Flaschen nun fest verbunden mit den Verschlüssen auf den Wellen tanzen oder davon separiert, ist kein großer Unterschied. Zudem dürften deutsche Flaschen nur selten den Weg ins Meer finden, das verhindert schon das hohe Pfand. Nicht alles ist schlecht.
Jedenfalls ist die öffentliche Erregung groß, in Leserbriefen und den asozialen Hetzwerken wird gewettert: Gibt es keine dringender zu lösenden Probleme? Das ist meine Flasche, damit mache ich, was ich will! Dazu Anleitungen, wie man die Kappe am besten wegbiegen muss oder ganz abtrennt, um sich beim Trinken aus der Flasche nicht am Auge zu verletzen oder beim Einschenken von Milch nicht den Tisch zu fluten. Es würde mich nicht wundern, wenn manche die Verschlüsse extra mit dem Seitenschneider abknipsen, sammeln und sie beim nächsten Urlaub auf Sylt oder Mallorca persönlich den Fluten überlassen, um es denen da oben mal richtig zu zeigen, aber so richtig!
Ich verstehe die Aufregung nicht. Meine erste Begegnung mit angeleinten Verschlusskappen von Mineralwasserflaschen hatte ich schon vor einigen Jahren in Frankreich, wo das anscheinend schon länger vorgeschrieben ist. Zunächst hielt ich es für einen Produktionsfehler, zog und zerrte an der Kappe, ehe ich erkannte, dass das wohl so sein musste. An den Meeresschutz dachte ich dabei nicht, überhaupt machte ich mir, wie so oft, keine größeren Gedanken über das Warum, bog die Kappe nach hinten, bis sie mit einem leisen Knacken einrastete und es so ermöglichte, mich ohne nennenswerte Augenverletzung und sonstige Beeinträchtigungen am Nass zu erquicken.
Nun sind die Franzosen nicht gerade für ihre ausgeprägte Obrigkeitshörigkeit berühmt, vielmehr reagieren sie gerne lautstark und heftig schon auf die kleinste staatlich verordnete restriction. Doch wurde meines Wissens wegen der angebundenen Verschlüsse keine Guillotine aus dem Heimatmuseum gerollt, keine Plastikflaschenhalden vor dem Élysée-Palast abgekippt und in Brand gesetzt, auch die gelben Westen blieben in den Schränken.
Ich glaube, einem Land, in dem angebundenen Drehverschlüssen derartige Aufmerksamkeit wie bei uns zuteil wird, geht es, trotz Klimawandel, zunehmender politischer Bräunung und der Auferstehung von Stefan Raab, noch ganz gut. Und solange sich Weinflaschen noch problemlos entkorken lassen, sehe ich keinen Grund zur Sorge. Santé!
