Woche 4: Kartoffelpüree, Kopfhörer, Kratzspuren und Kulturkanzelei – ich schreibe nur

Montag: Eine gute Idee sollte nicht daran scheitern, dass keiner sie hatte, das gilt auch und gerade für kulinarische Innovationen. Auch behaupte niemand, ich sei nicht offen für Neues. Heute aus der Kantine: vegetarische Currywurst an Kartoffelpüree mit einem Hauch weißer Schokolade darin. Schmeckte gar nicht mal so gut.

Nicht gegessen, sondern Gelesen:

„Einen Kraken würde ich als Bild jetzt nicht verwenden. Wir sind eher der liebe Elefant, der überall seinen Rüssel reinsteckt und schnuppert.“

(Nein, nicht Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg, sondern ein gewisser Gero Furchheim, Präsident des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel, in einem Welt-Interview)

Dienstag: Interessant, welche Gerüche bisweilen unter so einer Maske entstehen.

„Ich glaube, dass der Handschlag zurückkommt“, sagte die niedersächsische Gesundheitsministerin gegenüber einer Zeitung. Das erscheint mir unglücklich, gerade als Politiker sollte man bestrebt sein, Zuversicht zu verbreiten, anstatt düstere Zukunftsbilder zu malen.

Mittwoch: Ich bekam einen Präsentationsentwurf zugesandt mit dem Begleittext, das sei ein „Strawman“. Auch die Recherche nach der Wortbedeutung hinterließ mich in diesem Zusammenhang einigermaßen ratlos. Ich habe nichts gegen solche Formulierungen. Sonst würde ich es benutzen.

„Natur und Berge so oft es die Verpflichtungen erlauben“, las ich bei Frau Kraulquappe. Ich erwähne das nicht, weil es ein besonders bemerkenswerter Satz wäre, einer, bei dem man denkt: Genau, so ist es, besser kann man es nicht auf den Punkt bringen, warum bin ich nicht selbst darauf gekommen, Sie kennen das vielleicht; eher ein Wald- und Wiesensatz, nicht verkehrt, doch ohne größere Aussicht, auch in einigen Jahren noch bis zur völligen Abnutzung zitiert zu werden wie etwa „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Streng genommen ist es ohne Prädikat nicht mal ein richtiger Satz. Warum ich ihn dennoch wiedergebe: Während ich ihn las, sagte der Liebste „… das liegt in der Natur der Sache …“, wobei das Wort „Natur“ in exakt derselben Sekunde fiel, in der ich ebendieses im oben zitierten Satz las. Das war fast ein bisschen unheimlich.

Donnerstag: Als notorischer, fahrradfahrender Heimarbeitsverweigerer hatte ich an diesem durchgängig verregneten Tag gleich zweimal die Gelegenheit, die Eignung der Winter- als Regenjacke zu erproben. Erkenntnis: bedingte bis gar keine Eignung, wohingegen die Regenhose das Wasser zuverlässig zu den Füßen ableitete. Notiz an mich: Im Büro stets ein Handtuch sowie ein Paar Schuhe und Socken bereit halten.

Aus akustischen Gründen hat mir der Liebste bereits jetzt mein Geburtstagsgeschenk überreicht, das mir per definitionem erst kommende Woche zustünde. Es handelt sich um einen wunderbaren Kopfhörer, der sämtliche Außengeräusche nahezu eliminiert. Désormais können Staubsauger, Wäschetrockner, Lufterfrischer und andere häusliche Geräuschquellen meine Feierabendlaune nicht mehr trüben, was dem Erhalt des familiären Friedens sehr dienlich ist.

Freitag: „Die sind mir etwas zu gechillt unterwegs“, hörte ich in einer Besprechung. Seitdem weist mein Schreibtisch neue Kratz- und Bissspuren auf.

Zu den Sätzen, die ebenfalls geeignet sind, Aggressionen zu erzeugen, gehören auch solche aus der Reihe „Ich sage/frage/meine nur“, womöglich gewürzt mit „wie gesagt“.

Wenn man Murks gebaut hat, der den Kunden enttäuscht, hilft am besten eine schonungslos offene Kommunikation, um Vertrauen zurückzugewinnen. Ein besonders gelungenes Beispiel klingt so: „Qualitätserwartungen auf Marktseite und tatsächliche Leistungsfähigkeit des Produktes sind nicht synchronisiert.“

Samstag: Nach allem, was ich bislang über dieses Clubhouse gelesen habe, ist es wohl das nächste große Ding, das ich nicht brauche.

Abends hatten wir Appetit auf was vom Griechen unseres Vertrauens. Da überhaupt nicht einzusehen ist, warum er wegen unserer Bequemlichkeit Provision an den bekannten Speisesklavendienst entrichten sollte, schon gar nicht in diesen Zeiten, holte ich es trotz Schneetreibens gerne selbst mit dem Fahrrad ab. Das Bifteki war vorzüglich. Wie immer war es so viel, dass wir auch morgen noch was davon haben.

Sonntag: Vormittags verfolgten wir beim Frühstück eine Veranstaltung des Karnevalsvereins, die wie so vieles in diesen Zeiten nur auf dem Bildschirm besuchbar war. Zum Trost wurde „Heile, heile Gänsje“ gespielt, der alte Karnevalsschlager von Ernst Neger. Undenkbar, dass dieses Lied heute eine ähnliche Popularität erführe wie damals nach dem Krieg, allein schon wegen des Namens des Vortragenden. Entweder würde man ihn zur Umbenennung drängen, oder Lied und Künstler fielen der heute um sich greifenden Kulturkanzelei zum Opfer.

6 Gedanken zu “Woche 4: Kartoffelpüree, Kopfhörer, Kratzspuren und Kulturkanzelei – ich schreibe nur

  1. Kraulquappe Februar 1, 2021 / 12:18

    Lieber C.,
    soso, Sie halten das also für einen Wald- und Wiesensatz statt für einen äonenüberdauernden Aphorismus…
    Zugegeben, die Absenz eines Prädikats ist als Stilmittel nichts, worauf ich hinsichtlich der formalen Kreation dieses Satzes sonderlich stolz wäre, aber dass Sie ausgerechnet „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ zu seinem inhaltlichen Antagonisten erwählten, versetzt mir schon einen kleinen Stich: das persönliche Postulat „Natur und Berge so oft es geht“ liegt nämlich quintessentiell näher an der zuletzt sterbenden Hoffnung als es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag!
    Müsste ich nicht in Kürze hinaus in die Natur, würde ich das noch weiter ausführen, aber der Hund ruft!
    Aus München grüßt Sie herzlich,
    N.
    PS: Zu dem etwas unheimlichen Moment: Ein bemerkenswerter Zufall, wirklich. Der Draht, den mein Blog da offenbar zu Ihrem Liebsten hat, freut mich sehr. Ihr Blog hingegen ist noch nicht mit meinem Gatten verdrahtet, während ich den Absatz über „Clubhouse“ (noch nie gehört, sofort recherchiert, oh Gott! – aber als Android-User bleib ich da ja eh außen vor, prima!) las er gerade den Sportteil der Süddeutschen.

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    • stancerbn Februar 1, 2021 / 13:31

      Liebe N,
      ich gebe zu, der Vergleich mit dem Hoffnung-Satz hat die Grenze des guten Geschmacks ein wenig überschritten. Bitte vergeben Sie mir und bleiben mir weiterhin gewogen. (Das mit dem „gewogen“ ist auch ziemlich unsinnig, fällt mir gerade auf.)
      Herzliche Grüße
      C

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      • Kraulquappe Februar 1, 2021 / 13:50

        I wo! Als Grenzüberschreitung empfand ich das keineswegs und beleidigt bin ich auch nicht, insofern gibt es nix zu vergeben und trotz meiner aktuell sehr erfolgreichen Diät (tgl. 1 Weißbier + 1 riesigen Krapfen = Niedrigstgewicht seit Jahren) bleibe ich Ihnen auf jeden Fall gewogen.
        Herzlich zurück,
        Ihre N.

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    • stancerbn Februar 1, 2021 / 21:45

      „Fürderhin“ ist ein wunderschönes Wort, das völlig zu unrecht kaum noch gebraucht wird. Vielen Dank!

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