Montag: Nachtrag zu gestern: Als wir nach dem Godesberger Zug in Uniform und mit Instrumenten zurück zur Stadthalle gingen, kam uns ein Jugendlicher entgegen, der lautstark anbot, sein Geschlechtsteil zu zeigen, das nach eigenem Bekunden eine beachtliche Größe aufweise, und öffnete seine Hose. Die Medien nennen es gerne „in schamverletzender Weise“, wenn jemand öffentlich seinen Löres präsentiert. Letztlich kam es dann doch nicht zum Äußersten, der Schlüpfer blieb oben und die Großpenisbehauptung unbewiesen, vielleicht weil die Freunde des Knaben ihn von weiterem Tun abhielten. Was auch immer seine Beweggründe gewesen sein mögen – falls er eine Karriere als Exhibitionist anstrebt, sollte er noch etwas üben.
Das Wort „Hochachtungsvoll“ kannte ich bislang nur als nicht ganz so freundliche Grußformel. Seine Verwendung als Grad der Alkoholisierung einer Person ist mir neu und gefällt mir. Da ich während des Bonner Rosenmontagszugs das Bier nur vorsichtig und in kleinen Schlucken zu mir nahm und ansonsten permanent aus der Luft gegriffene und vom Boden aufgesammelte Süßigkeiten nachschob, blieb mein Füllgrad indes marginal, somit steht meiner Werktauglichkeit ab morgen, außer einer zu erwartenden gewissen Unlust, nichts im Wege.
Dienstag: Mubarak und Marie-Luise Nikuta sind gestorben. Während mir die Nachricht über Mubaraks Tod allenfalls ein Schulterzucken auslöst, mir war nicht mal bewusst, dass er noch lebte, denke ich bei Nikuta: och nö!
Gelesen bei Wolfgang Herrndorf, der am 8.2.2011 in „Arbeit und Struktur“ schrieb:
„Traum: Auf der Oberfläche der Sonne verursacht eine von der Erde ausgesandte Sonde eine Störung. Zuerst sieht man nur einen kleinen schwarzen Fleck, der sich aber rasch ausbreitet. Schließlich erlischt die Kernfusion auf der Sonne ganz. Mit C. suche ich im Dunkeln nach Kerzen, aber sinnvoll scheint das nicht. Es kann nur noch Tage oder Stunden dauern, bis die Temperatur auf diesem Planeten für immer bei minus 273 Grad angekommen ist, da helfen Kerzen jetzt auch nicht weiter. Wir resignieren.“
Ist da nicht gerade dieses Parker-Dings auf dem Weg zur Sonne?
Mittwoch: Das Corona-Virus breitet sich in Europa aus, jetzt ist es auch in Heinsberg angekommen, nicht weit weg von hier. Aus Gründen, die ich nicht benennen kann, nehme ich die Nachrichten darüber weiterhin weniger in Sorge um mich und meine Lieben zur Kenntnis, stattdessen mit einem irritierend wohligen Grusel, dabei langweilen mich Thriller für gewöhnlich. Es könnte noch interessant werden.
Völlig uninteressant hingegen das derzeitige Brimborium um die CDU. Die sollen endlich einen neuen Oberchristen bestimmen, und gut ist.
Ansonsten: Politischer Aschermittwoch = Kasperltheater für Große
Donnerstag: Offseite der Abteilung in der Eifel. Dort höre ich solche Sätze: „Wir sind da low key unterwegs“ – „Fünf Minuten Biobreak, dann machen wir weiter“ – „Ich bin overloaded.“ Vorschlag zur Fastenzeit: Sechs Wochen lang Anglizismen meiden, vor dem blathering überlegen, wie man es auf Deutsch sagen könnte.
Freitag: Die Bahn auf dem Rückweg vom Werk war angenehm leer, was einem ja in diesen Zeiten, wo fremdes Niesen und Husten lebensbedrohend sein kann, sehr gelegen kommt. Dann, im Tunnel, gab es über dem Zug einen Blitz und einen lauten Knall, daraufhin gingen drei Viertel der Lampen im Wagen aus, die Bahn fuhr aber weiter, wenn auch langsamer, bis zur nächsten Haltestelle. Dort hörte ich durch die Wand zur Fahrerkabine den Fahrer mit der Leitstelle das weitere Vorgehen beraten, danach kam er heraus, ging durch den Wagen, prüfte irgendwas, anschließend fuhren wir langsam weiter. Am Bundesrechnungshof hieß es dann „Alle aussteigen, Bahn kaputt“, vielleicht war es auch etwas freundlicher formuliert. Die folgende Bahn wurde dann, wie befürchtet, ziemlich voll, dennoch fand ich einen Sitzplatz.
Mir gegenüber saß ein älterer Herr, also jedenfalls älter als ich, und das ist ja schon ganz schön alt, der in einem vollgeschriebenen Moleskinebuch las, vielleicht ein altes Tagebuch. Wie ich im Spiegelbild der dunklen Fensterscheibe beobachtete, hob er zwischendurch den Blick aus dem Buch und schaute sinnierend in den Wagen. Vielleicht war er gerade an einer Stelle angelangt, wo etwas ganz anders beschrieben war als er sich jahrelang zu erinnern glaubte. Das kenne ich.
Ich fühle mich kränklich. Keine gute Voraussetzungen für das traditionelle „Fischtrinken“ des Karnevalsvereins zum Sessionsschluss heute Abend. Aber Pflicht ist Pflicht und Fisch ist Fisch, zudem bin ich noch bei Appetit, was ich als ein gutes Zeichen werte.
Samstag: In der Zeitung lese ich das Wort „Menetekel“ und recherchiere seine Bedeutung (in etwa: Ankündigung von Unheil). Unterdessen ist in Bonn der erste Corona-Fall festgestellt worden. Ich fühle mich weiterhin krank, gehe jedoch von einer normalen Erkältung aus. Zudem zumindest teilweise eine Folge des „Fischtrinkens“.
Sonntag: Wie ich in der Zeitung lese, gefährdet die Corona-Epidemie möglicherweise die Austragung der Fußball-Europameisterschaft in diesem Jahr. Es hat eben fast alles auch seine guten Seiten.