Woche 37: Ein moderner Unfall und nackte Briefträger

Montag: Die Angst davor, alleine in ein Restaurant essen zu gehen, heißt laut einem Zeitungsbericht „Solomangarephobia“. Wie eine Befragung ergab, gehen 72 Prozent der Männer und 57 Prozent der Frauen regelmäßig alleine ins Restaurant, warum auch immer man so etwas erforscht. Es gibt sogar ein – recht albernes – Wort dafür: „Solo Dining“. Noch größer der Unterschied beim Pinkeln, nicht Inhalt des Zeitungsartikels oder Ergebnis einer Studie, sondern meiner persönlichen Beobachtung, somit eine gänzlich unbelegte Behauptung: 97 Prozent der Männer, aber weniger als 20 Prozent der Frauen gehen in Gaststätten alleine aufs Klo. DAS wäre mal der Erforschung wert. Ob es dafür den Begriff „Solo Peeing“ gibt, ist mir nicht bekannt und zudem ziemlich egal.

Sehr gefreut habe ich mich über die Nachricht von Frau Gerine, die moniert, ich benutze hier im Blog zu häufig das Relativpronomen „welches“ anstatt des schlichten „der/die/das“. Damit hat sie wohl recht, der Gebrauch ist unnötig, ich werde ihn künftig einschränken. Erst recht freute mich ihr Satz „Wer Max Goldt schätzt, kommt an Ihnen nicht vorbei“. Wenngleich ich mir der darin liegenden Übertreibung bewusst bin, erhellte mir diese Anmerkung den (zum Glück nicht allzu) trüben Montag.

Dienstag: „… auch im Aufsichtsrat hört man nur Positives über die geschiedene Mutter zweier Töchter„, liest man in der Zeitung über das Vorstandsmitglied eines Bonner Konzerns (und nein – es heißt NICHT „Vorständin“, wie man manchmal lesen muss). Ich frage: Wer braucht diese Information über das Privatleben der Frau, wen geht das was an, vor allem: Was sagt das über ihre berufliche Leistung aus? Als ähnlich überflüss-ärgerlich empfinde ich stets, wenn die Zeitung ein Interview mit einem Experten abschließt mit dem Block „Zur Person“, in dem dann zu lesen ist: „S ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder“. Wenigstens verzichtet man üblicherweise auf Angaben zu Schuhgröße, Sternzeichen und sexueller Präferenzen der Kinder.

Doch will ich nicht allzu sehr auf die Zeitung schimpfen, manchmal schenkt sie auch gleichsam fabelhaften Grund zur Erheiterung:

… und die ganze Vogelschar.

In Berlin wurden die Tage vier Personen durch ein SUV getötet, das vom Wege abkam. Nun werden Forderungen laut, SUVs in Städten zu verbieten. Liebe Leute, es gibt viele gute Gründe, diese Makromobile zu verbieten, nicht nur in Städten. Der Unfall in Berlin eignet sich indes nun wirklich nicht als Argument; ein Smart oder Trabant hätte denselben Effekt haben können. Ein wenig erinnert das an die Reaktion der Deutschen Bahn auf das schwere Unglück in Brühl vor knapp zwanzig Jahren: Wegen Bauarbeiten wurden die Züge Richtung Süden über ein abzweigendes Nebengleis umgeleitet. Aufgrund von Unachtsamkeit des Lokführers befuhr ein Nachtzug den Abzweig viel zu schnell, er entgleiste, stürzte die Böschung herab, es gab Tote und Verletzte und hohen Sachschaden. Was tat die Bahn? Sie entfernte später das abzweigende Gleis. Problem gelöst.

Aus der Reihe „Sätze sind Schätze“, gelesen hier:

„Gleichwohl ist das Leben gemeinhin kein Fantasy-Roman und alle Schul- und Allgemeinbildung verweist selbstverständlich in ebenso großer wie zweifelsfrei überzeugender Klarheit auf die Tatsache, dass es sinnvolle Zufälle nicht geben kann – oder doch nur im Rahmen der Wahrscheinlichkeitsrechnung, und so groß ist dieser Rahmen nun nicht.“

Mittwoch: Früher hieß es: „Der Chef wünscht, dass wir noch folgendes berücksichtigen: …“ – Heute: „Ich habe noch Guidance zum Thema. Hier meine Take-Aways aus dem Termin: …“

Abends fuhr ich, wie jeden Mittwoch, mit dem RE 5 von Bonn nach Köln-Deutz. Vor den Halten in Brühl und Köln sagte die elektrische Stimme aus dem Lautsprecher jedes Mal: „Nächster Halt: Koblenz Stadtmitte“. Ich stelle mir folgende Murmeltiersituation vor: Man steigt in Koblenz Hauptbahnhof in den Zug Richtung Köln. Nachdem man einen genehmen Platz gefunden hat, widmet man sich der Zeitung, einem Buch oder dem Datengerät. Der Zug fährt los. „Nächster Halt: Koblenz Stadtmitte“, sagt die Stimme. Alles in Ordnung, der Zug hält, fährt weiter. Kurz vor Andernach wieder die Stimme: „Nächster Halt: Koblenz Stadtmitte“. Man lächelt ob des technischen Fehlers, schaut kurz aus dem Fenster und sieht: Tatsächlich nähert man sich nicht Andernach, Bad Breisig, Sinzig oder Bonn, sondern erneut Koblenz Stadtmitte. Immer wieder, bei jedem Halt. Wie lange mag es dauern, bis an Bord Panik ausbricht oder man den Verstand verliert?

Ich kam dennoch pünktlich und wohlbehalten in Köln-Deutz an. Auf dem Fußweg zur Chorprobe fiel mir ein Schild auf. Nur selten sah ich wesentliche Abneigungen von mir derart prägnant auf den Punkt gebracht:

KW37 - 1

Ein Chorbruder hat den Arm zweimal gebrochen, nachdem er auf dem Fahrrad mit einem Elektroroller kollidiert ist. Er selbst sieht es mit beneidenswertem Humor und bezeichnet es als „modernen Unfall“.

Donnerstag: Ein Ohrwurm entsteht meistens, wenn man ein Lied morgens im Radio hörte, oder jemand in der Nähe summt eine Melodie, oder sagt nur ein bestimmtes Wort, etwa „atemlos“, um ein besonders gemeines Beispiel zu nennen. Mich hingegen befiel er ganz unvermittelt während eines Spazierganges alleine, ohne Kopfhörer, mit einem Lied, das ich seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr gehört habe:

Der menschliche Verstand ist manchmal voller Rätsel.

Freitag: Aus der Reihe Schiefe Bilder, gehört in einer Besprechung: „Wir müssen da den Ball durch die Tür bekommen.“

Samstag: Manchmal bedarf es keines großen Anlasses, um einen Glücksmoment zu erleben. Am Morgen wachte ich zur gewohnten Zeit um halb sieben auf, bemerkte nach einigen Sekunden, dass Samstag ist und gab mich mit einem Lächeln weiteren Träumen hin. Im Französischen kennt man übrigens das Wort „jubjoter“ zur Beschreibung der Situation, wenn man aus einem Traum aufwacht, dessen Ende man gerne wüsste, deshalb wieder einschläft in der Hoffnung, ihn weiter zu träumen.

Am Montag fragte ich, wozu das Gastronomieverhalten alleinspeisender Personen erforscht wurde, siehe oben. Das ist gar nichts gegen den Forschungsgegenstand zweier Wissenschaftler, über den heute die Zeitung berichtet: Bereits 2007 untersuchten sie die Temperaturunterschiede der Hodensäcke nackter und angezogener französischer Briefträger, wofür sie sogar einen Preis erhielten. Leider geht aus dem Artikel nicht hervor, wie sie konkret dabei vorgegangen waren.

Sonntag: Der Geliebte zeigt sich belustigt ob meines charakteristisch geformten Rippenbogens. Dem entgegne ich:

„Die Natur kennt keinen Mangel, nichts ist zu lang oder zu kurz, zu breit oder zu eng, alles ist schon im rechten Maß, alles ist eben einfach wie es ist.“

(Gelesen bei Peter Rosei, „Entwurf für eine Welt ohne Menschen“)

Tischgespräch am Abend: „Wie heißt die?“ – „Eden, wie der Sänger, Chris Edingbourgh.“ – „Du meinst Chris de Burgh?“ – „Ja genau den.“

2 Gedanken zu “Woche 37: Ein moderner Unfall und nackte Briefträger

  1. Mrs Postman September 16, 2019 / 17:39

    Sollte ich den Inhalt seines Textes kurz nach dem Konsum desselben wiedergegen, fielen mir als erstes die französischen Briefträger ein. Ich bin ein Klischee 😭😭😭
    By the way? Woher hast du das, sowas lustiges kommt mir beim rumgoogeln nie unter 🤣

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