wir müssen reden. Wie ich las, schrieb dir ein türkischer Blogger einen bewegenden Abschiedsbrief, weil Freund Erdogan sein Gesetz durchgesetzt hat, mit dem er dich an die Kette legen will. Das ist ohne wenn und aber inakzeptabel. Also Erdogans Erlass, nicht der Blogbrief. Nun will ich auf die türkischen Zensurbestrebungen gar nicht weiter eingehen, das haben andere, die das viel besser können, längst getan. Aber die Idee, dir einen Brief zu schreiben, gefällt mir.
Ich war schon reich an Jahren, über dreißig, als du per fiependem Modem in meine Stube und mein Leben tratest, vielleicht ist unser Verhältnis deshalb stets etwas distanziert geblieben. Dabei war auch ich beeindruckt von den Möglichkeiten, die sich mit dir plötzlich auftaten, von der Routenplanung über nicht ganz jugendfreie Naturbilder und -filme bis hin zur Kontaktaufnahme zu bekannten oder fremden Menschen, sei es zum Schwätzen, zum Austausch über bestimmte Themen oder von Körperflüssigkeiten.
Du hast uns Menschen heute fest im Griff – wir gehen für dich auf die Straße, siehe Türkei, und mit dir sowieso, den Blick stets auf unser Modag* gesenkt. Demnächst nicht mal mehr das, weil wir diese modisch zweifelhafte Google-Brille tragen, irgendwann auch das nicht mehr, dann tragen alle einen kleinen Chip im Kopf. Und wir empören uns weiterhin über die NSA und ähnliche große Brüder, derweil wir jeden unserer unbedeutenden Fürze auf Facebook posten (wie ich dieses Wort hasse )
Weißt du was, liebes Internet? Nimm es mir nicht übel, aber du nervst. Denn das alles gibst du mir ja nicht umsonst, sondern frisst dafür etwas sehr kostbares: meine Zeit. Wie viele Stunden habe ich schon damit verbracht, Profile auf Paarungsportalen zu studieren, rein interessehalber, versteht sich (Spinner und Faker könne sich das Anschreiben sparen), dumme oder unverschämte Kommentare unter Forumsbeiträgen zu lesen, mich im Linkgestrüpp diverser Blogartikel zu verheddern, unverlangt zugeschickte Youtube-Filmchen anzuschauen, obwohl sie mich nicht interessierten, meine Twitter-Timeline nachzulesen und mir selbst halbwitzige Textchen auszudenken; Facebook indes kann ich hier nichts vorwerfen: das finde ich seit jeher so langweilig, dass ich es dort für gewöhnlich keine zwei Minuten lang aushalte.
Es reicht. Ich will das nicht mehr. Na ja, so ganz ohne dich geht es nicht, dazu bin auch ich schon zu abhängig von dir, und du hast ja auch ohne Zweifel deine guten, nützlichen Seiten. So erhalte ich die Tageszeitung über dich, was der Welt einen kleinen Berg Altpapier erspart; wenn ich was wissen will, frage ich Wikipedia oder Google; und so einige liebgewonnene Blogs möchte ich nicht mehr missen. Aber es muss auch wieder ohne dich gehen, wenigstens stundenweise, vielleicht auch mal ein paar Tage. Das heißt: alle Benachrichtigungen auf dem iPhone deaktivieren und es weglegen, oder einfach mal ausschalten. Und dann: mit dem Liebsten einen Film im Fernsehen schauen, ein Buch lesen, einen Spaziergang machen, ohne zwischendurch immer wieder auf dieses Ding zu schauen. Oder einen Blogtext schreiben. Davon kann und möchte ich auch nicht ablassen.
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*Mobiles Datenendgerät
Vielen Dank für diesen und die vielen anderen Blogartikel. Ich mag deine Art zu schreiben und freue mich, wenn es was Neues in deinem Blog gibt.
Das Internet ist wie du es beschreibst Fluch und Segen, das rechte Maß im Umgang mit ihm zu finden fällt schwer. Der Artikel hat es mir wieder einmal bewusst gemacht, wie sehr man sich doch von diesen Benachrichtigungen beeinflussen lässt und wie viel Zeit man für andere Dinge aufwenden könnte. Mal sehen, wie gut es mir gelingt, das Smartphone auch mal links liegen zu lassen.
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Hallo,
vielen Dank für die lobenden Worte über meine Zeilen! Ich werde hier weiter präsent sein, mindestens einmal wöchentlich, versprochen.
Carsten
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