Ein Fall für die Schublade gemachter Erfahrungen

Seit der Mensch Geld als Zahlungsmittel erfunden hat, überlegt er, wie er es mit möglichst geringem Aufwand vermehren kann. Dabei hat sich bewährt, es anderen Leuten abzunehmen. Fragwürdige Methoden lernte ich am zurückliegenden Osterwochenende kennen, welches wir im elsässischen Colmar und seiner liebreizenden Umgebung verbrachten. Dort, im Elsass, kann man vorzüglich essen und ausgezeichneten Wein trinken, wofür nicht geringe Summen auszugeben mir keinerlei Schmerz bereitete. Doch sie können auch anders, die Elsässer: So wird in zahlreichen Geschäften Krempel feilgeboten, welcher augenscheinlich der Abzocke von Touristen dient; ganz vorne auf der Beliebtheitsscala scheinen Plüsch-Störche in allen Größen zu stehen, zumal der Storch wohl eine Art Wappentier der Umgebung ist, auch in seiner unverkäuflichen, natürlichen Erscheinungsform, wie Sie auf dem nachfolgenden Bild erkennen können (Pfeil).

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Auch die örtlichen Einrichtungshäuser bieten tierähnliche Gegenstände an, deren Gebrauchswert sich dem schaufensterschauenden Betrachter nicht auf Anhieb erschließt:

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Ansonsten sind das Elsass und Colmar jedoch sehr schön, eine Reise dorthin unbedingt zu empfehlen.

Nicht so schön war das Erleben einer weiteren Methode der Geldbeschaffung, welches uns auf der Rückfahrt am Montagmittag widerfuhr. Auf der Autobahn bei Straßburg, in einer leichten Rechtskurve, überholte uns ein Audi mit deutschem „UN“-Kennzeichen (also Unna, nicht Vereinte Nationen) und gab uns durch Handzeichen und Warnblinker zu verstehen, ihm auf den Seitenstreifen zu folgen. Was wir auch taten, vielleicht war ja irgendetwas an unserem Wagen, was einer unbekümmerten Weiterfahrt im Wege stand. Kaum standen wir, entstieg dem Audi der in Anzug und Krawatte gekleidete Beifahrer, den ich einer im weitesten Sinne arabischen Herkunft zuordnen würde, kam zu uns und sprach durch das geöffnete Seitenfenster also dieses: Er habe gerade ein großes Problem, hier in Frankreich seine Bankkarten verloren, müsse aber mit Frau und Kindern, welche vorne im Audi säßen (was wir wegen der getönten Heckscheibe nicht überprüfen konnten) noch nach Hause fahren, ob wir ihm Geld leihen könnten, er würde es gleich morgen zurück überweisen. Als „Sicherheit“ reichte er mir ein abgewetztes iPhone, schwallte tausende Schwüre auf seine Ehre, seine Familie, seinen Gott und alles was ihm wert und wichtig war, und begann, sich güldenen Schmuck vom Handgelenk zu rupfen. Außerdem übergab er mir eine abgeranzte Visitenkarte.

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Was tun? Sie kennen das vielleicht vom Bahnhof, wo fragwürdige Gestalten einem glauben machen wollen, für die dringend benötigte Fahrkarte fehlten ihnen noch ein paar Euro, ob man damit aushelfen könne. Bietet sich jedoch auf dem Bahnhof die Möglichkeit, mit einem freundlichen Nein das Gesuch ablehnen und wegzugehen, so saßen wir hier fest: Vor uns der Audi, links die vorbeirasenden Autos und rechts der lamentierende Autohändler. Und vielleicht bestand die vorgetragene Not ja wirklich, wer war ich, einem Bedürftigen die Hilfe zu verweigern? Also gab ich ihm zwanzig Euro, woraufhin er jedoch keine Spur Dankbarkeit erkennen ließ (den Schein aber trotzdem nahm), vielmehr sein Flehen verstärkte, mich geradezu beschimpfte ob des an den Tag gelegten Geizes. Bevor er seinen hässlichen Armschmuck in unser Auto werfen konnte, fuhr ich die Scheibe hoch. Er schrie noch ein paar Minuten herum, dann gab er auf, ging zurück zum Audi und fuhr ab. Auch wir konnten unsere Fahrt endlich fortsetzen, mit einem eigenartigen Gefühl an Bord.

Noch am selben Tag schrieb ich eine freundliche Mail an die angegebene Adresse, woraufhin – wenig überraschend – sofort eine Unzustellbarkeitsmeldung kam.

Was mich an der ganzen Sache ärgert:

  1. Zwanzig Euro weniger, die nun einem Halunken gehören.
  2. Unser Versäumnis, das Kennzeichen des Audis zu notieren.
  3. Unsere Unbedarftheit, die uns verleitete, auf den Seitenstreifen zu fahren anstatt einfach weiter.
  4. Meine nunmehr geringere Bereitschaft, fremden Menschen zu helfen. Da anzunehmen ist, dass wir nicht die einzigen waren und sein werden, werden auch andere Menschen nicht mehr helfen, wenn ich mal in Not sein sollte.

Aber es hat auch sein Gutes:

  1. Nur zwanzig Euro, nicht mehr. Abzüglich der Ironblogger-Gebühr für Nichtbloggen sogar nur fünfzehn.
  2. Er hat immerhin keine Knarre gezogen, um seinem Ansinnen Nachdruck zu verleihen.
  3. Ich habe wieder was zu erzählen.

Also lege ich das Erlebnis ab in die Schublade der gemachten Erfahrungen und begegne meinen Mitmenschen fürderhin mit erhöhter Wachsamkeit. Und immer schön das Kfz-Kennzeichen notieren!

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