Woche 29/2023: Haushaltsübliche Mengen

Montag: Die neue Woche begann ohne nennenswerte Auffälligkeiten. Am frühen Nachmittag erfuhr mein Arbeitslustakku eine Tiefentladung, was mich zu einem zeitigen, jedoch nicht vorzeitigen Arbeitsende bewog.

Nachdem es um die Reparatur der immer noch defekten Sonnenschutz-Jalousie in den letzten drei Wochen ruhig geworden war und ich deshalb am vergangenen Freitag beim Hausservice nachgefragt hatte, erschienen am späteren Nachmittag gleich drei Techniker, schauten und beratschlagten kurz, schätzten die erforderliche Arbeitszeit zum Tausch des Motor auf zwei Stunden und verschwanden nach etwa fünf Minuten wieder. Man werde sich wieder melden. Ich bin zuversichtlich, dass im Herbst, wenn die Sonne tiefer steht, die Jalousie funktioniert.

In den Nachrichten unterdessen Meldungen über extreme Hitze und Überschwemmungen, angesichts derer Klage über eine defekte Jalousie bei erträglichen fünfundzwanzig Grad Raumtemperatur unangemessen erscheint.

Dienstag: Der Tag begann ungewohnt, da ich morgens das Auto zur Werkstatt brachte. Normalerweise obliegen familiäre Kraftfahrzeugangelegenheiten dem Liebsten, der den Wagen hauptsächlich nutzt; aufgrund einer Dienstreise konnte er seine Pflichten heute nicht wahrnehmen, was soll man machen. Das wären gleich zwei Anlässe zur Stimmungseintrübung gewesen: Abweichung vom Regelablauf, die mir mit zunehmendem Alter immer ungelegener erscheinen, und Autofahren, das ich noch nie mochte. Daran gemessen war meine Tageslaune trotz spätem Arbeitsende erfreulich.

Mittwoch: Auf dem Weg ins Werk sah ich Hinweisschilder zum KUNST!RASEN, einer Veranstaltungsreihe während der Sommermonate im Rheinauenpark. Kunstrasen – derart bezeichnen könnte man auch, was der Geliebte bisweilen aufführt, wenn er sich mal wieder künstlich über etwas aufregt, bis zur Beruhigung Champagner gereicht wird.

Kurz nach Ankunft im Büro stand Kollege T. mit einer Frage im Raum, eingehüllt in eine markante Parfümwolke. Nach Auskunftserteilung meinerseits verschwand er wieder, der Herrenduft verweilte trotz geöffneter Fenster noch etwas. Merken die Leute das wirklich nicht selbst?

Auf dem Weg zur Kantine begegnete mir Kollege D., der heute nach fünfzig Dienstjahren seinen letzten Arbeitstag hatte und kommende Woche seinen Ausstand gibt. Der aufmerksame Betrachter hätte um meine Nasenpartie einen ganz leichten Schimmer ins Grünliche bemerkt.

Ein Kollege aus Berlin wünschte per Mail, nachdem ich ihm bei einer Sache, die Sie nicht interessieren wird, geholfen hatte, um 12:47 Uhr einen baldigen Feierabend. Humor haben sie, die Berliner.

Donnerstag: Bleiben wir in der Nähe von Berlin. In Brandenburg wurde laut Meldungen ein Löwe gesichtet. Nach Einschätzung von Experten ist ein Zusammenhang mit dem Klimawandel nicht auszuschließen.

Gelesen:

»Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass wir nichts weiter sind als ein biologisches Tier – allerdings das einzige, das zu viel frisst und dann ins Fitnessstudio rennt.«

Der Historiker Peter Frankopan im SPIEGEL

Der Geliebte hat Getränke eingekauft, sowohl mit als auch ohne Alkohol. Dabei wurde mal wieder deutlich, die Wortkombination aus „haushaltsüblich“ und „Menge“ ist ihm fremd.

Freitag: In der Nacht beglückte mich ein Wadenkrampf, der mit tausend Messern ins Unterbein stach, mit dem schönen Gefühl, wenn der Schmerz nachlässt. Immer auch das Positive sehen.

„Gehabt euch wohl“, schrieb einer nach der Besprechung in den Teams-Chat. Eine, wie ich finde, wunderschöne Abschiedsformel, die ich gerne öfter hören oder lesen möchte.

Auch schön – gesehen abends in einem Schaufenster. Man beachte den Preis. Wer kauft sowas? Was ist die angemessene Reaktion, wann man derartiges geschenkt bekommt?

Samstag: Wie bereits gestern bekannt wurde, handelte es sich bei der in Brandenburg beobachteten Löwin nach neuen Erkenntnissen wohl doch nur um ein Wildschwein. Kann ja mal passieren. Humor haben sie, die Brandenburger.

Ansonsten ein angenehmer Tag mit katerfreiem Erwachen, Balkonfrühstück mit den Lieben bei angenehmer Außentemperatur, einem mittäglichen Spaziergang ohne gastronomische Einkehr, dafür mit Rast auf einer Bank am Rheinufer, wo die Schiffe wegen Niedrigwassers zurzeit nur halb beladen fahren können, und nachbarschaftlichem Grillen am Abend.

Bankaussicht

Sonntag: Wenn es stimmt, dass Katzen sieben Leben haben, dann hat die des Nachbarn über uns seit heute Morgen nur noch sechs, nachdem sie von der Dachterrasse auf die vier Stockwerke tiefer befindliche Glasüberdachung des Treppenhauses gestürzt ist. Was die Katze zu dem Sturzflug bewogen hatte, womöglich gar Suizidabsicht, ist nicht bekannt, jedenfalls hat sie es offenbar überlebt.

Der Tag begann mit Regen, der pünktlich zum Spaziergang aufhörte. Danach blieb es überwiegend bewölkt, dabei mild, was dem Tag eine frühherbstliche Anmutung verlieh, einem Besuch der Außengastronomie jedoch nicht im Wege stand.

Den Gang verband ich mit der werterhaltenen Entsorgung überzähligen Küchengeschirrs, das zu schade für den Müll war. Dazu gibt es im Bonner Norden eine öffentliche Abgabestelle, nicht viel mehr als ein Holzregal, wo man brauchbare Gegenstände hinterlegen oder bei Bedarf entnehmen kann, also dasselbe Prinzip wie die öffentlichen Bücherschränke. Bis vor einiger Zeit gab es so ein Tauschhäuschen auch in unmittelbarer Nähe im Hof der ehemaligen Volkshochschule, was sehr praktisch war. Seit der Hof nicht mehr zugänglich ist, ist das Häuschen verschwunden. Alternativ könnte man die Sachen auch einfach vor das Haus stellen mit einem Zettel „Zu verschenken“, wie es mittlerweile vielfach zu beobachten ist, manchmal mit den absonderlichsten Abfällen in den jeweiligen Kartons. Man kann das Zeug auch, wie der Geliebte es bereits mehrfach praktiziert hat, an der Straßenecke auf den Stromkasten stellen; spätestens am nächsten Tag ist es verschwunden, wirklich erstaunlich, was die Leute alles gebrauchen können. Für mich fühlt sich das immer ein wenig wie wilde Müllentsorgung an, deshalb bin ich froh über die offizielle Sammelstelle im Norden, auch wenn die etwas weiter weg gelegen ist, was für mich als Gernegeher kein Problem darstellt.

Angewandte Kunst in der Inneren Nordstadt
Humor in der Äußeren Nordstadt
Niedrigwasser und Wolken

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Gehaben Sie sich wohl und kommen Sie gut durch die Woche.

Woche 31: Das Leben in vollen Zügen genießen

Montag: Mein armer, geschundener Körper mutet an wie ein Testgelände für Stechungeziefer aller Art. Das ist jedoch ein Luxusproblem gegenüber einer Meldung in den Nachrichten: Aufgrund der sommerlichen Dürre fallen die Kartoffeln in diesem Jahr kleiner aus, weswegen eine erhebliche Verkürzung der Pommes Frites zu befürchten ist, was eher schlichte Gemüter veranlassen könnte, „Armes Deutschland“ zu rufen.

Dienstag: Gerade der Sommer bietet reichlich Gelegenheiten, das Leben in vollen Zügen zu genießen. So auch heute während der Rückreise von einer Tagung nahe Ulm, der Stadt mit der höchsten Kirchturmspitze. Ich könnte mich nun ausführlich auslassen über verspätete und ausgefallene Züge, Verzögerungen im Betriebsablauf, ausgefallene Klimaanlagen, eingeschränkten gastronomischen Service ohne Sachertorte, dafür mit ungekühlten Kaltgetränken, aber das will nun wirklich niemand mehr lesen. Sensation des Tages war die auf die Minute pünktliche Abfahrt des ICE 514 um 18:36 Uhr ab Mannheim. Das war so ziemlich das einzige, was funktionierte.

Dem Bahnhofsvorsteher von Celle

war abhanden gekommen die Kelle.

So laut er auch pfiff:

Die Lokomotiv’,

bewegte sich nicht von der Stelle.

(Eigenproduktion, daher urheberrechtlich unbedenklich.)

Ein Teilnehmer der Tagung war mit einem Namen gestraft, der mich noch am Abend innerlich zum Grinsen veranlasst, welchen hier niederzuschreiben ich jedoch aus Gründen des Anstandes nicht für angebracht halte. Nur soviel: Seine Jugend dürfte dadurch nicht immer unbeschwert gewesen sein.

Mittwoch: Heute beendete ich auf der Rückfahrt vom Werk meine derzeitige Stadtbahnlektüre: „Es ist nur eine Phase, Hase“ von Maxim Leo und Jochen Gutsch (Das sind vergleichsweise viele Autoren für gerade mal einhundertdreiundvierzig Seiten). Das Büchlein widmet sich, knapp zusammengefasst, den Befindlichkeiten von Menschen um die fünfzig, die mit dem Fortschreiten ihrer Jahre hadern und deshalb als Ablenkungsmanöver seltsame Dinge tun wie Marathon laufen oder Marmelade kochen, von den Autoren als „Alterspubertierende“ bezeichnet. Es ist recht witzig geschrieben, an manchen Stellen dachte ich: stimmt, kenne ich (selbstverständlich nur von anderen, nicht von mir selbst). Dennoch bleibt rätselhaft, warum sich das Buch seit Wochen auf der SPIEGEL-Bestsellerliste hält.

Passend dazu bot mir heute in der Bahn erstmals eine junge Dame ihren Sitzplatz an. Vielleicht hatte sie auch nur einen Wadenkrampf und wollte deshalb stehen. Das war sehr nett, und doch irritierend.

Donnerstag: Laut Zeitungsbericht verbietet nun auch Dänemark die Verhüllung des Gesichtes in der Öffentlichkeit. Das Verbot bezieht sich auch auf falsche Bärte. Was zur Frage führt: Wann gilt ein Bart als falsch im Sinne von ästhetisch unvorteilhaft? Fragte man mich, gäbe ich zu Protokoll: alles ab zehn Millimeter Länge, zudem alleinstehende Schnauz- und Kinnbärte – aber da gehen die Meinungen wohl auseinander. Und müssen Nikolaus und Weihnachtsmann ihr Werk in Dänemark ab sofort glattrasiert verrichten?

Freitag: Es liegt mir fern, mich zu beklagen, aber ein Schreibtisch am Baggersee statt im Büro wäre in diesen Tagen nicht das schlechteste. Sind jetzt Menschen, die in der Kühle einer Fischkonservenfabrik ihrem Tagwerk nachgehen, zu beneiden? Am besten hat man da einen Job im Wasser, vielleicht als Muschelzähler oder Unterwasserkönig.

Apropos warm: Heute in einer Woche werde ich helfen, die Luft mit Worten weiter anzuwärmen: https://4xmi.de/ – es gibt noch Plätze!

Samstag: „Tarzan verlässt Oberhausen“, plärrt die Radioreklame. Das wäre mal ein nicer Filmtitel. Die Geschichte: Tarzan, einst der Liebe wegen ins Ruhrgebiet gezogen, musste nach einer Räumungsklage sein Baumhaus am Autobahnkreuz Oberhausen-West verlassen, wo er sich nach der Trennung von der Angebeteten, die jetzt mit Cheetah zusammenlebt, wohnlich eingerichtet hatte, mit Ornament-Tapete, Biedermeierschränkchen und anderem Firlefanz. Er zieht weiter in die Oberlausitz, wo er sich einem Wolfsrudel anschließt und fortan zusammen mit den neuen Freunden des nachts Schafe reißt. Das bringt die PEGIDA-Bewegung gegen ihn auf, die bereits nach einer Fußfessel schreit, aber wann hat es je zu etwas Sinnvollem geführt, weil man auf Geschrei gehört hat?

Auch wir verlassen heute, nicht Oberhausen, sondern Bonn, und das auch nur bis morgen, da die Schwiegerfamilie in Ostwestfalen zu Feierlichkeiten gerufen hat.

„Alles Unglück der Menschen kommt davon her, dass sie nicht verstehen, sich ruhig in einer Stube zu halten.“ (Blaise Pascal, Philosoph)

Sonntag: Auf die Frage von WDR 2, was die Hörer in diesem Sommer besonderes machen, lässt Norbert B. aus H. wissen, er sitze in Unterwäsche vor seinem Rechner und surfe im Internet herum, was dem WDR 2-Slogan „Infos, die ich brauche“ einen besonderen Unterstrich verleiht.

Einigermaßen angemessen bekleidet sitze ich ebenfalls vor dem Rechner und bringe meine Betrachtungen dieser Woche zum Abschluss. Besonderes Vergnügen bereitete mir dieses Mal, diese mit der aktuellen Wochenaufgabe der ABC-Etüden zu verknüpfen, wobei ich alle Wörter unterzubringen geschafft habe außer Ohrring, Federkleid und Tanztee (welche dann hiermit, wenn auch in etwas unsportlicher Weise, ebenfalls noch Erwähnung gefunden haben.)

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