Montag: Die neue Woche begann mit einer Lüge und einer Fehleinschätzung. Gelogen hatte – mal wieder – die Wetter-App, die morgens anzeigte, der Regen sei durch. Die anschließende Fehleinschätzung lag darin, das, was bei Verlassen des Hauses vom Himmel fiel, als ein paar letzte Tropfen zu interpretieren, die sicher gleich zu fallen aufhören würden, und deshalb das Fahrrad zu nehmen. Nach einer Stunde am Schreibtisch waren die Hosenbeine wieder trocken.
Dessen ungeachtet gingen mir die Gewerke ganz gut von der Hand und der Arbeitstag endete zeitig, man muss es nicht gleich zu Wochenbeginn übertreiben, nicht wahr.
In einer Regelung las ich das Verb „händeln“. Wie eine schnelle Duden-Recherche ergab, gibt es das Wort nicht, oder jedenfalls kennt es der Duden noch nicht, obwohl es in fast jeder Besprechung gebraucht wird und dann mutmaßlich alle wissen, was gemeint ist.
Die Rückfahrt erfolgte indessen trocken bei herbstlicher Milde unter einem blaufleckigen Himmel, freundlicher Rückenwind schob mich am Rheinufer dem trauten Heim entgegen.
Es gab schon wesentlich beschwerlichere Montage.
Dienstag: Zu Fuß ins Werk und zurück, wobei es morgens wesentlich dunkler war als vergangene Woche um dieselbe Zeit, was an der weitgehend geschlossenen Wolkendecke gelegen haben mag. Nächste Woche wird es dann dank Uhrenumstellung wieder heller sein.
Zurück nahm ich einen kleinen Umweg, weil es mild und ich guter Hoffnung war, dass es beim Salvator noch Oktoberfestbier gibt. Ich wurde nicht enttäuscht.
Die Tage wurde ich in einem Formular mal wieder nach meinem Beruf gefragt. Dann weiß ich nie, was ich antworten soll. Eine Ausbildung hatte ich schon, darf mich seitdem Diplomverwaltungswirt nennen, meine derzeitige Stellenbezeichnung lautet Senior-Experte oder Senior Specialist, also nichts, worunter Betriebfremde sich etwas vorstellen können wie etwa bei einem Tischler, Lokführer oder Pornodarsteller. Ich gehe täglich ins Büro und mache dort typische Bürodinge wie Mails lesen und schreiben, telefonieren, an Besprechungen teilnehmen, Kästchen ausfüllen. Manchmal räume ich zur Pflege des Kaffeeküchenkarmas die Spülmaschine ein oder aus, oder befreie den Abfluss im Waschbecken der Toilette von Papierfetzen, auf dass das Wasser wieder ablaufe. Alles in allem zumeist sinnvolle oder wenigstens tagfüllende Tätigkeiten, für die es indes keine griffige Berufsbezeichnung gibt. Heute beim Gehen fiel mir die Antwort ein: Ich bin ein Bürokrat. Da dieser Begriff eher negativ besetzt ist, gebe ich beim nächsten Mal vielleicht Büroiker oder Büronaut an. Vielleicht auch nicht, ich sollte noch ein wenig darüber nachdenken.


Mittwoch: Kürzlich wurde mit „Das crazy“ das Jugendwort des Jahres bestimmt. Nach der umstrittenen Äußerung des Bundeskanzler das Stadtbild betreffend und der deshalb herrschenden allgemeinen Empörung dürfte nun auch das Unwort dieses Jahres gefunden sein.
Nicht empört, vielmehr erfreut war ich über die nachmittags im Briefkasten vorgefundene Postkarte mit Alpakabezug. Lieber T., herzlichen Dank dafür!
Nachtrag zu den gestrigen Berufsbezeichnungsüberlegungen: Wie wäre es mit Bürologe, -nom oder -mane?
Donnerstag: Sturmtief Joshua zeigte sich wenigstens hier einigermaßen verträglich und ermöglichte mir den Fußweg ins Werk und zurück, ohne nennenswert nass zu werden. Ab dem Nachmittag ließ stärkerer Wind den Turm knarzen wie ein Schiff bei Seegang. Laut einem in der Zeitung zitierten Meteorologen ist der Vollherbst da, ein mir neuer Begriff. Demnach hatten wir bislang Halb- oder Teilherbst.
„Ich bin kürzlich auf deinen Hintergrund gestoßen und war wirklich beeindruckt von der Tieffe an Erfahrung, die du im digitalen Bereich aufgebaut hast. Dein Profil zeigt eine starke Mischung aus Führungskompetenz, Leistungsverständnis und strategischem Denken.“ Tieffe? Führungskompetenz, Leistungsverständnis? Ich? Manche Versender von Spam versuchen gar nicht erst, ihre Absichten zu verschleiern.

Freitag: Aus der Täterbeschreibung in einem Zeitungsartikel: „Er trug eine Glatze“.
In einem werksinternen Dokument las ich mehrfach das etwas antike Adverb „mithin“ und freute mich darob.
Zwischenzeitlich schaute ich per Webcam immer wieder nach Büsum, wo Joshua die Nordseefluten gegen den Deich trieb. Deswegen blieb die Hafenschleuse geschlossen und die Funny Girl im Hafen anstatt nach Helgoland zu fahren. Hier bei uns war es hingegen vollherbstlich ruhig und überwiegend trocken, so dass die Radfahrt ins Werk und zurück unbeweht und -regnet möglich war.


Samstag: Heute feiert einer in diesem Haushalt runden Geburtstag. Das leitet elegant über zur nächsten Frage der Woche.
Nummer 50 lautet: „Was kannst du richtig gut?“ Hier muss die Antwort leider lauten: nichts. Jedenfalls fällt mir nichts ein, was ich gut oder wenigstens besser als die meisten anderen kann, vielmehr liegen die meisten meiner Fähigkeiten im Mittelmaß. Damit komme ich bislang gut zurecht und beklage mich nicht.
Der oben genannte Geburtstag ist übrigens verbunden mit einem Reisebeschluss nach Paris im nächsten Mai. Somit werde ich dort auch endlich mal gewesen sein und muss mich nicht länger fragen lassen: „Was, du warst noch nie in Paris?“
Zur Feier des Tages waren wir abends im GOP-Theater, wo die Show „Youniverse“ gegeben wurde, zuvor stärkten wir uns im angeschlossenen Restaurant. Verglichen mit früheren Besuchen waren wir von der Show etwas enttäuscht: Es wurde weniger beeindruckende Akrobatik geboten, und die dahinterstehende Geschichte, irgendwas mit digital, erschloss sich uns nicht. Es war dennoch ein unterhaltsamer Abend.

Sonntag: In der Sonntagszeitung las ich mit Schaudern einen Artikel über ein mögliches künftiges Weltgefüge, in dem die Macht aufgeteilt ist auf die USA, Russland und China, wobei Deutschland dem russischen Block zugeteilt wird. Und das möglicherweise schon sehr bald, ab 2028, wenn nach den nächsten Wahlen in Europa die rechten Parteien erstarken. Vielleicht hat es längst schon begonnen und das, was gerade um uns herum geschieht, ist so wenig aufzuhalten wie der Klimawandel. Alles in allem keine guten Aussichten für Menschen, die nicht weiß, christgläubig und heterosexuell sind. Das kann die Laune schon trüben; man muss dankbar sein für jeden Tag, an dem man in Ruhe leben und lieben kann, wie man will.
Zur Hebung der Laune unternahm ich einen langen Spaziergang auf die andere Rheinseite, dabei fiel mir einiges zum Thema Stadtbild auf:









Viel besser wurde die Laune nicht.
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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Kommen Sie gut durch die Woche und lassen Sie sich nicht erschaudern.
19:00
