Woche 48/2024: Vielleicht werden jetzt auch die Vögel irre

Montag: Wie mir die DB Reisebegleitung per Mail mitgeteilt hat, ist meine Fahrt nach München am nächsten Montag „nicht wie geplant möglich“. Was genau nicht und wie sie stattdessen möglich ist und ob überhaupt, bleibt offen.

Der Arbeitstag war besprechungsvoll und endete früh, da wir nachmittags Abschied nahmen von einem lieben Menschen. Das war, sofern man einem solchen Anlass dieses Attribut zuschreiben möchte und kann, sehr schön. Anschließend wurde wieder gelacht, das wäre in seinem Sinne gewesen.

Dienstag: Wie morgens im Radio gemeldet wurde, ist geplant, im Kreis Heinsberg zwei Bahnstrecken für den Güterverkehr zu reaktivieren. Die Stadt Wegberg will das verhindern, weil dadurch angeblich Lärm erzeugt und Flächen verbraucht werden. Lieber weiterhin alles mit LKW durch die Gegend fahren. Ein weiterer Stein im Schotterbeet unseres Verderbens, wir können und wollen es nicht anders.

Außerdem will Erdogan entgegen der Verfassung bis 2033 Obertürke bleiben und die Anklagen gegen Trump werden fallen gelassen. Dagegen wirkt der erklärte Anspruch von Scholz, Bundeskanzler zu bleiben, geradezu drollig.

Manchmal ist es nur noch im Zustand angenehmer Angetrunkenheit zu ertragen. Anscheinend gibt es auf der Terrasse des Rheinpavillons in diesem Jahr keine Glühweinbude; in den vergangenen Jahren war sie um diese Zeit schon in Betrieb. Vielleicht ist auch hier der allgegenwärtige Personalmangel der Grund. Schade, aber der Weihnachtsmarkt bietet zum Glück Alternativen für ein Heimweggetränk.

Serviervorschlag

Mittwoch: In der Abenddämmerung am Rheinufer flogen mir unzählige Halsbandsittiche entgegen, nacheinander in mehreren Schwärmen zu schätzungsweise je hunderten Vögeln. Sie flogen tief und rasend schnell, dabei wichen sie geschickt Hindernissen wie Bäumen und Menschen aus. Augenscheinlich hatten sie große Freude dabei. Etwas später war der Reviergesang einer Amsel zu vernehmend, anscheinend hatte sie sich in der Jahreszeit vertan. Vielleicht werden jetzt auch die Vögel irre.

Abends hatte ich die Ehre und das Vergnügen, als letzter Vortragender bei der letzten Lesebühne im Limes aufzutreten. Eigentlich wollte ich nach grandiosem Scheitern vor vielen Jahren bei einem Poetry Slam nie wieder an einem Wettlesen teilnehmen, doch hier machte ich gerne eine Ausnahme, zumal am Ende zwar der Gewinner (nicht ich, sondern völlig verdient der liebe L.), nicht jedoch der Verlierer bekanntgegeben wird, beziehungsweise wurde, es war ja das letzte Mal. Für diesen Abend schrieb ich extra einen Text, der hier nachzulesen ist.

Foto: Lothar Schiefer

Donnerstag: Den zweiten Tag in Folge gab es aus terminlichen Gründen (gestern Lesung, heute Musikprobe) kein Abendessen für mich. Da ich unter der Woche außerdem nicht frühstücke, war das Mittagessen somit jeweils die einzige Mahlzeit des Tages. Dennoch hielt sich der Abendhunger in erträglichen Grenzen. Intervallfasten kann ich. (Die während der Musikprobe in größerer Menge verzehren Weingummis zählen nicht.)

Morgens

Freitag: Ich halte mich nicht für einen, der oft und gerne „Habe ich doch gleich gesagt“ sagt. Jedenfalls nehme ich die aktuelle Blamage der FDP wegen ihres D-Day-Konzepts mit gewisser Genugtuung zur Kenntnis. Oder wie der Ostwestfale sagt: Dä!

Samstag: Aus einer Laune heraus habe ich mich jetzt auch bei diesem Bluesky angemeldet. Mal sehen, wie lange die Laune dieses Mal anhält. Nach den Erfahrungen mit Mastadon und Threads nicht lange. Immerhin ähnelt Bluesky dem früheren Twitter, allerdings wird meine damalige Begeisterung, die ich letzterem entgegenbrachte, wohl nicht wiederkehren. Das ist nicht schlimm.

Sonntag: Die Bluesky-App zeigte morgens den Eingang einer Meldung an, jedoch war da nix, weder ein neuer Folgender noch ein Herzchen. Egal.

Erster Advent, in den Blogs und zu Hause werden zahlreiche virtuelle wie physische Türchen geöffnet; ich habe den Eindruck, jedes Jahr werden es mehr, vielleicht irre ich mich auch.

Der Sonntagsspaziergang führte über die Rheinbrücken ans andere Ufer. Zwar schien die Sonne vom fast wolkenlosen Himmel, doch kalter Wind gab einen Vorgeschmack auf den nicht mehr fernen Winter, was innere Wärmung durch einen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt angezeigt erscheinen ließ.

Am frühen Abend packte ich den Rucksack für die Dienstreise nach München morgen. Die alternative Bahnverbindung, die sich nur geringfügig von der ursprünglichen unterscheidet, siehe Eintrag vom Montag, steht zum Zeitpunkt der Niederschrift noch, es besteht Hoffnung. Was leider ausfallen wird ist das Treffen mit der Blogfreundin morgen Abend, aus Krankheitsgründen. Liebe N., auch auf diesem Wege nochmal alles Gute, irgendwann werden wir wieder zueinander finden.

Das andere Ufer
So sind Menschen nunmal
Noch mehr komische Vögel

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Kommen Sie gut durch die Woche. Falls auch Sie eine Krankheit plagt, wünsche ich baldige Gesundung.

Woche 48: Sorgenfalten auf Liftbetreiberstirnen

Montag: Manchmal fallen mir völlig ohne Zusammenhang Sätze ein, für die ich akut keine Verwendung habe, die dennoch zum Vergessen zu schade erscheinen. Manchmal halten sie sich, bis ich sie notieren kann für eventuellen späteren Gebrauch. Ein solcher Satz meldete sich heute früh beim ersten Aufwachen; ob es noch der ausklingende Rest eines Traumes war, weiß ich nicht mehr, so wie die inhaltliche Erinnerung eines Traumes ohnehin die Ausnahme ist, meistens reißt der Film, in dem ich eben noch Hauptdarsteller war, mit dem Erwachen abrupt ab und es bleibt nichts davon übrig. Der in der heutigen Frühe gedachte Satz, eigentlich sind es zwei, eignet sich vielleicht als Beginn eines Romans, oder als Liedzeile für Revolverheld oder Max Giesinger. Er geht so: „Als er ankam, kannte er niemanden; als er ging, nicht einmal mehr sich selbst.“ Falls Sie damit etwas anfangen können, etwa in Ihrem Blog einen Aufsatz darum häkeln möchten, nur zu, bedienen Sie sich.

Kommenden Samstag ist „Kaufnixtag“, steht in der Zeitung. An diesem Tag soll man, wie der Name schon sagt, nichts kaufen und stattdessen über sein Konsumverhalten nachdenken. Finde ich gut, brauche ich allerdings nicht: Im geschätzten Schnitt an sechs Tagen je Woche kaufe ich nichts, weil ich nichts brauche. Wobei ich mich nicht als Minimalisten bezeichnen würde wie Christof H., der im selben Artikel zu Wort kommt. Angeblich besitzt er nur noch Dinge, die er unbedingt benötigt, und ehe er sich was kauft, überlegt er gründlich, ob er es wirklich braucht. So hat er nicht mal ein Bügeleisen – wenn er was zu bügeln hat, geht er zu den Nachbarn, so H. So einen will man ja nun auch nicht unbedingt neben sich wohnen haben.

Ansonsten bot der Tag kaum Anlass zur Beanstandung. Mittags gab es Currywurst mit Pommes Majo unter freiem Himmel, das ist ja ab und zu auch mal ganz schön.

Dienstag: In einem einstündigen Workshop waren sechs Agenda-Punkte zu besprechen. Davon gingen sechs Minuten ab, um festzustellen, wer noch alles im Call war. Nach gut dreißig Minuten war der Recap erledigt, die restlichen Themen, unter anderem die Timeline, konnten auch innerhalb der vorgesehenen Zeit abgearbeitet werden, da die meisten Teilnehmer einen harten Anschlag hatten.

In der Mittagspause kamen mir zwei Herren entgegen, natürlich unmaskiert und nebeneinander, offenbar in ein wichtiges Gespräch vertieft. Im Moment unserer Begegnung drückte einer der beiden gegen einen Nasenflügel und entleerte das noch offene Nasenloch papierlos-sprühend in den Rinnstein. Wann und wodurch ist solchen Menschen wohl die Erziehung abhanden gekommen?

Karl Dall ist gestern gestorben. Das ist traurig, ich mochte ihn. Vielleicht geht mit ihm auch das dümmliche, dem presseeigenen Synonymzwang entsprungene Wort „Blödelbarde“ von uns, wohl niemand wird es vermissen. „Modezar“ müssen wir ja zum Glück auch nicht mehr hören und lesen. Nur mit dem „Medienmogul“, dem „Poptitan“ und der „Röckröhre“ müssen wir wohl noch einige Zeit leben.

Laut Zeitung hat in Florida ein Vierundsiebzigjähriger mit einem Aligator gekämpft, um ihm einen Hundewelpen aus dem Maul zu ziehen. Ist das noch Mut oder schon Irrsinn?

Mittwoch: Zufällig las ich morgens erneut eine Mail, die mir im Januar eine liebe Kollegin geschickt hatte: „Hallo Herr K, ich wünsche Ihnen auf diesem Weg auch noch ein gutes 2020. Mit vielen schönen kleinen Begebenheiten und der ein oder anderen Super-Begebenheit, an die Sie sich dann im hohen Alter noch gerne erinnern.“ Bei nicht allzu kleinlicher Auslegung des Begriffes „gerne“ kann man wohl ohne Übertreibung feststellen, der zweite Wunsch hat sich erfüllt.

In der Schweiz werden Paketzusteller übrigens als „Päcklipöstler“ bezeichnet. Da muss ich sofort an Emil Steinberger denken, wie er vielleicht die Tür öffnet und sagt: „Ah, sieh an, der Päckchlipöschtler ischt da!“ Kennen Sie den noch? Wenn nicht, schauen Sie bitte hier.

Seit heute gehört ein neues, geräuscherzeugendes Gerät zu unserem Hausstand, das der Päcklipöstler (beziehungsweise ÜPSler) brachte. Jetzt gilt es, herauszufinden, welchem Zweck es neben der Geräuscherzeugung dient.

Donnerstag: In Hagen wurde laut Zeitung ein Mann verhaftet, weil er 140 Tuben Haftcreme gestohlen hatte. Manches kann man sich einfach nicht ausdenken.

Freitag: Morgens im Radio die Wahl zwischen Fußballmeldungen auf WDR 2 und französischer Werbung auf Nostalgie. Da mein Hirn zu früher Stunde nur auf Teillast fährt und somit voll beschäftigt war mit der Abwägung, welches von beiden Geräuschen das schlimmere sei, kam es nicht auf die Idee, das Radio einfach abzuschalten.

„Ich bin kein Morgenmuffel; ich werde nur viel zu oft gezwungen, vor meiner guten Laune aufzustehen“, schreibt Herr Emil. Ein Satz, den ich mir – natürlich im Präteritum – gut auf meinem Grabstein vorstellen könnte.

„Die neuen Corona-Regeln sorgen in Bonn bei Lebensmittelhändlern für Sorgenfalten“, steht in der Zeitung. Noch so einer.

Sorgenfalten auch auf Liftbetreiberstirnen, weil die Bundeskanzlerin die Schließung der Skigebiete für angebracht befindet. Je nachdem, wer gefragt wird, scheint die Welt ohnehin nur aus sicheren Orten zu bestehen: Kinos, Theater, Supermärkte, Straßenbahnen, Flugzeuge, Fußballstadien, Hotels, Restaurants, Freudenhäuser, nun also auch Skipisten. Schließlich sei Bewegung an der frischen Luft gesund, so ein Sprecher der Liftlobby.

Samstag: „Doch es besteht Hoffnung, dass die Menschheit das Killer-Virus in den Griff bekommt. Das käme dann einer zweiten Mondlandung gleich.“ Das steht nicht in der Bildzeitung, sondern im Bonner General-Anzeiger. Übrigens beinhaltete allein das Apollo-Programm zwischen 1969 und 1972 sechs Mondlandungen, habe ich mal eben recherchiert.

Nicht zu entkommen in diesen Tagen sind die in Wort und Schrift allgegenwärtigen Aufrufe zum kollektiven Konsumterror, der gestern mit dem sogenannten „Black Friday“ begann. Ergänzend zu meinen diesbezüglichen Ausführungen von Montag ist hierzu in der Bonner Nordstadt eine gewisse Ablehnung zu erahnen.

Sonntag: Erster Advent. WhatsApp-Gruppen werden wieder geflutet von Spruchbildern, Gifs und Filmchen mit Kerzen-, Glocken- und Schneemannmotiven. Weihnachten wird überbewertet.

Überbewertet werden auch Werbeverweigererhinweise auf Briefkästen. Das dachte sich jedenfalls offenbar ein Zettelverteiler in der Inneren Nordstadt.

Wie auch immer – ich wünsche Ihnen eine angenehme Adventszeit. Ob mit viel oder wenig Konsum entscheiden Sie. Machen Sie das Beste daraus!