Montag: „Meet a team that feels like family“ las ich morgens im Aufzug auf einem Motivationsleuchtdisplay. Ich gehe wirklich gerne ins Büro, jedenfalls meistens, und mag die meisten Kollegen. Doch auf Familiengefühl an allen Ausprägungen, auch den lästigen, verzichte ich dabei gern, ich bitte um Verständnis.
Gehört in einer Besprechung: „Wir nehmen die Filialen mit auf eine Reise.“ Reisende Filialen sind eine eher lustige Vorstellung. Wohin reist man damit, und mit welchem Verkehrsmittel? – Verzeihung, ich bin albern.
Ebenfalls mal wieder gehört: „Der Prozess wird nicht gelebt.“ Wer ist wann auf die absurde Idee gekommen, man könne oder müsse einen Prozess transitiv leben?
Die böse alte Frau möchte nicht von Fremden geduzt werden, wie sie in ihrem diesjährigen Adventskalender darlegt:
Dagegen kann ich vermutlich wenig machen, aber meinem Temperament entspricht die voraussetzungslose Fraternisierung mit Fremden nicht. Ich empfinde diese ganze ungefragte Anduzerei durchaus auch als Infantilisierung. Und gerade wenn man ewige Jugend nicht für das Ziel hält, legt man ab einem gewissen Alter doch Wert darauf, wie ein Erwachsener behandelt zu werden.
Recht hat sie. Deshalb werden Sie hier in diesem Blog konsequent gesiezt. Übrigens, auch wenn Sie, wie ich, Adventskalender grundsätzlich für eher entbehrlich halten, so empfehle ich Ihnen den oben zitierten sehr zur Lektüre, auch rückwirkend. Dasselbe gilt für den von Herrn Hanne, der mich immer wieder zum Lachen bringt.
Dienstag: „Wir haben einen Workaround, aber es wird spannend“ hörte ich morgens im Aufzug einen zu dem anderen sagen. Ein anderer Kollege bringt mich regelmäßig fast zur Weißglut, weil er, wie es ihm vermutlich irgendwann mal von irgendwelchen Kommunikationseuphemisten eingeredet wurde, stets „Herausforderung“ sagt, wenn es nicht übertrieben wäre, den derart bezeichneten Sachverhalt als echtes Problem zu bezeichnen. Auch nicht neu, aber immer wieder schmerzhaft, wenn jemand die pünktliche Beendigung einer Besprechung einfordert (was selbstverständlich sein sollte), weil er einen „harten Anschlag“ hat.
(Dabei fällt mir auf, dass sich die Wörter „Beendigung“ und „Beerdigung“ nur durch einen Buchstaben, eigentlich gar nur einen halben, unterscheiden und auch inhaltlich nicht weit auseinander liegen.)
Zum Mittagessen traf ich mich spontan mit der lieben Kollegin, mit der ich regelmäßig alle paar Wochen zusammen esse. Dabei erzählte sie mir vom Erwerb eines Plattenspielers. Erst als sie damit fertig war, merkten wir beide, dass sie mir genau das gleiche schon bei unserem letzten Treffen erzählt hatte. Ihr war das peinlich, ich fand es lustig, wobei es nicht meine Absicht war, sie damit auflaufen zu lassen. Das ist einerseits erstaunlich, weil es mich normalerweise aggressiv-ungeduldig macht, wenn ich schon Gesagtes zum zweiten oder gar dritten Mal anhören muss, andererseits kam mir das Erzählte zwar bekannt vor, doch wusste ich nicht mehr sicher, von wem ich es gehört hatte. Wir werden alle nicht jünger, was ich weiterhin als sehr tröstlich empfinde.

Wie mir heute per Mail mitgeteilt wurde, hat im vergangenen Monat jemand das Buch gekauft. Falls die- oder derjenige hier mitliest, bedanke ich mich herzlich und wünsche viel Vergnügen damit.
Ein weiteres sinnloses Symbolbild aus der Zeitung:

Mittwoch: Vielleicht lag es an einer gewissen anlasslosen Grundverdrießlichkeit, mit der ich morgens in den Tag startete, dass ich mich kurz nach Abfahrt gegenüber einem Autofahrer wie eines dieser rücksichtslosen Radfahrerarschlöcher aufführte, über die ich mich regelmäßig ärgere. Mag ja sein, dass ich ein ganz kleines bisschen im Recht war, weil wir uns auf einer Fahrradstraße befanden. Dennoch hätte ich einfach kurz warten können anstatt ihn anzublaffen. Das tut mir sehr leid und ich ärgerte mich danach noch längere Zeit angemessen darüber, nicht über den Autofahrer sondern über mein Verhalten. Es soll nicht wieder vorkommen, ich bitte in aller Form um Entschuldigung.
Gut Ding will Weile haben: der Flughafen von Berlin, die Elbphilharmonie in Hamburg, die Kölner Oper, der Stuttgarter Bahnhof, die Bonner Beethovenhalle. Letztere ist nun, fünf Jahre später und mit 221 statt 60 Millionen Euro etwas teurer als ursprünglich geplant, endlich fertig um im Beisein des Bundespräsidenten eingeweiht worden. Somit hat Bonn eine ewige Baustelle weniger. Doch die nächste kündigt sich an: Bereits ab Januar darf die Nordbrücke nicht mehr von LKWs befahren werden, das wird interessant. Der Neubau ist für die Dreißigerjahre vorgesehen. Du liebe Güte, die sind schon in fast greifbarer Nähe, wo ist nur die ganze Zeit hin. Bislang verband man mit dem Wort „Dreißigerjahre“ selten etwas Gutes. Hoffen wir, dass die nächsten für die Weltgeschichte glimpflicher ablaufen. Sehr zuversichtlich bin ich leider nicht.
Donnerstag: Während des planmäßigen Fußwegs ins Werk erfreute aufkommende Röte des jungen Morgens das Auge.

Mit „Merry UX-Mas“ endet die Mail-Abwesenheitsmeldung eines Kollegen, der sich gut mit der Bedienerfreundlichkeit von IT-System auskennt. Manchmal weiß man nicht, ob man lachen oder aufheulen soll.
Abends in der Stadtbahn nach Bad Godesberg gehört: „Liebe Fahrgäste, diese Fahrt endet hier. Wir bitten euch, auszusteigen.“ Nun also auch die Stadtwerke Bonn.
Freitag: Morgens war es mild; als ich das Fahrrad vor dem Turm abstellte, sang eine Amsel, als wäre es schon März. Alle irre.
„Ich freue mich auf die Herausforderungen im nächsten Jahr“, sagte eine (nicht der am Dienstag genannte Kollege) am Ende einer Besprechung. Was so geredet wird gegen Jahresende. Ein anderer beschloss seine Wünsche zum Fest mit: „Was man nicht einpacken kann, ist häufig wertvoller.“ Dem ist nicht zu widersprechen, eine Villa oder Jacht lassen sich nur schwer verpacken.
Schließlich dieses aus einer weiteren Mail-Abwesenheitsmeldung: „Wie Sie sehen bin nicht im Dienst, aber werde am 2 Januar in aller Frische wieder erreichbar sein.“ Wenigstens wird man nicht geduzt.
Samstag: Nach samstagsunüblichem Frühaufstehen fuhren wir morgens im Nebel ab nach Beaune im Burgund, wo wir nachmittags nach erfreulich ereignisloser Fahrt bei leichtem Regen ankamen und die Woche über Weihnachten verbringen werden. Im Hotel genießen wir offensichtlich mittlerweile einen gewissen Stammkundenstatus: Nachdem wir das Zimmer im vergangenen Jahr mit einer mitgebrachten Lichterkette versehen hatten, wurde es dieses Mal vom Hause aus weihnachtlich dekoriert, zuzüglich mehrerer Leckerchen in fester und flüssiger Form.


Sonntag: Nach dem Frühstück fuhren wir nach Chablis, wo wir in der coopérative regionalen Wein und Cremant probierten und erstanden, auf dass unsere Vorräte niemals zur Neige gehen. Anschließend gingen wir über den örtlichen Wochenmarkt, wo an einem Stand herrenlose Retourenpakete angeboten wurden. Ich hörte schon davon, dass es für so etwas auch in Deutschland einen Markt gibt, also Markt im Sinne von kaufbereiter Kundschaft, gleichsam die Fortsetzung der Wundertüte und des Überraschungseis, sogar Automaten soll es geben. Aber einen Retouren-Wochenmarktstand finde ich doch einigermaßen bemerkenswert.
Der Weg von Beaune nach Chablis führt durch sehr viel unbewohnte Gegend und über kilometerlange schnurgerade Straßen, ab und zu fährt man durch kleinere Orte, die augenscheinlich ihre besten Zeiten hinter sich haben. Auf dem Rückweg schauten wir uns die Abbaye de Fontenay an, eine ehemalige Zisterzienserabtei aus dem zwölften Jahrhundert, zwischendurch mal Papierfabrik, heute außer Weltkulturerbe ohne erkennbare Funktion.
Nach Rückkehr im Hotel nahmen wir Platz im Kaminzimmer, immer wieder ein guter Ort für Menschenbeobachtungen, siehe auch die Ausführungen dazu aus dem Vorjahr. In der Sitzgruppe neben uns ein jüngeres spanisches Paar. Der Spanier an sich neigt nicht zu leisen Tönen, wovon diese beiden Exemplare keine Ausnahme darstellen. Während sie telefonierte, zeitweise mit Lauthören, damit er mithören konnte, schaute er sich irgendwelche Filmchen an, ebenfalls mit Ton für alle. Ich bin immer wieder erstaunt über die zunehmende Hemmungslosigkeit der Leute, aber wahrscheinlich stelle ich mich mal wieder etwas an.


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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Woche und schöne Weihnachtstage mit den Menschen, die Sie gerne um sich haben; lassen Sie sich nicht hetzen und ärgern.
