Woche 48: Sorgenfalten auf Liftbetreiberstirnen

Montag: Manchmal fallen mir völlig ohne Zusammenhang Sätze ein, für die ich akut keine Verwendung habe, die dennoch zum Vergessen zu schade erscheinen. Manchmal halten sie sich, bis ich sie notieren kann für eventuellen späteren Gebrauch. Ein solcher Satz meldete sich heute früh beim ersten Aufwachen; ob es noch der ausklingende Rest eines Traumes war, weiß ich nicht mehr, so wie die inhaltliche Erinnerung eines Traumes ohnehin die Ausnahme ist, meistens reißt der Film, in dem ich eben noch Hauptdarsteller war, mit dem Erwachen abrupt ab und es bleibt nichts davon übrig. Der in der heutigen Frühe gedachte Satz, eigentlich sind es zwei, eignet sich vielleicht als Beginn eines Romans, oder als Liedzeile für Revolverheld oder Max Giesinger. Er geht so: „Als er ankam, kannte er niemanden; als er ging, nicht einmal mehr sich selbst.“ Falls Sie damit etwas anfangen können, etwa in Ihrem Blog einen Aufsatz darum häkeln möchten, nur zu, bedienen Sie sich.

Kommenden Samstag ist „Kaufnixtag“, steht in der Zeitung. An diesem Tag soll man, wie der Name schon sagt, nichts kaufen und stattdessen über sein Konsumverhalten nachdenken. Finde ich gut, brauche ich allerdings nicht: Im geschätzten Schnitt an sechs Tagen je Woche kaufe ich nichts, weil ich nichts brauche. Wobei ich mich nicht als Minimalisten bezeichnen würde wie Christof H., der im selben Artikel zu Wort kommt. Angeblich besitzt er nur noch Dinge, die er unbedingt benötigt, und ehe er sich was kauft, überlegt er gründlich, ob er es wirklich braucht. So hat er nicht mal ein Bügeleisen – wenn er was zu bügeln hat, geht er zu den Nachbarn, so H. So einen will man ja nun auch nicht unbedingt neben sich wohnen haben.

Ansonsten bot der Tag kaum Anlass zur Beanstandung. Mittags gab es Currywurst mit Pommes Majo unter freiem Himmel, das ist ja ab und zu auch mal ganz schön.

Dienstag: In einem einstündigen Workshop waren sechs Agenda-Punkte zu besprechen. Davon gingen sechs Minuten ab, um festzustellen, wer noch alles im Call war. Nach gut dreißig Minuten war der Recap erledigt, die restlichen Themen, unter anderem die Timeline, konnten auch innerhalb der vorgesehenen Zeit abgearbeitet werden, da die meisten Teilnehmer einen harten Anschlag hatten.

In der Mittagspause kamen mir zwei Herren entgegen, natürlich unmaskiert und nebeneinander, offenbar in ein wichtiges Gespräch vertieft. Im Moment unserer Begegnung drückte einer der beiden gegen einen Nasenflügel und entleerte das noch offene Nasenloch papierlos-sprühend in den Rinnstein. Wann und wodurch ist solchen Menschen wohl die Erziehung abhanden gekommen?

Karl Dall ist gestern gestorben. Das ist traurig, ich mochte ihn. Vielleicht geht mit ihm auch das dümmliche, dem presseeigenen Synonymzwang entsprungene Wort „Blödelbarde“ von uns, wohl niemand wird es vermissen. „Modezar“ müssen wir ja zum Glück auch nicht mehr hören und lesen. Nur mit dem „Medienmogul“, dem „Poptitan“ und der „Röckröhre“ müssen wir wohl noch einige Zeit leben.

Laut Zeitung hat in Florida ein Vierundsiebzigjähriger mit einem Aligator gekämpft, um ihm einen Hundewelpen aus dem Maul zu ziehen. Ist das noch Mut oder schon Irrsinn?

Mittwoch: Zufällig las ich morgens erneut eine Mail, die mir im Januar eine liebe Kollegin geschickt hatte: „Hallo Herr K, ich wünsche Ihnen auf diesem Weg auch noch ein gutes 2020. Mit vielen schönen kleinen Begebenheiten und der ein oder anderen Super-Begebenheit, an die Sie sich dann im hohen Alter noch gerne erinnern.“ Bei nicht allzu kleinlicher Auslegung des Begriffes „gerne“ kann man wohl ohne Übertreibung feststellen, der zweite Wunsch hat sich erfüllt.

In der Schweiz werden Paketzusteller übrigens als „Päcklipöstler“ bezeichnet. Da muss ich sofort an Emil Steinberger denken, wie er vielleicht die Tür öffnet und sagt: „Ah, sieh an, der Päckchlipöschtler ischt da!“ Kennen Sie den noch? Wenn nicht, schauen Sie bitte hier.

Seit heute gehört ein neues, geräuscherzeugendes Gerät zu unserem Hausstand, das der Päcklipöstler (beziehungsweise ÜPSler) brachte. Jetzt gilt es, herauszufinden, welchem Zweck es neben der Geräuscherzeugung dient.

Donnerstag: In Hagen wurde laut Zeitung ein Mann verhaftet, weil er 140 Tuben Haftcreme gestohlen hatte. Manches kann man sich einfach nicht ausdenken.

Freitag: Morgens im Radio die Wahl zwischen Fußballmeldungen auf WDR 2 und französischer Werbung auf Nostalgie. Da mein Hirn zu früher Stunde nur auf Teillast fährt und somit voll beschäftigt war mit der Abwägung, welches von beiden Geräuschen das schlimmere sei, kam es nicht auf die Idee, das Radio einfach abzuschalten.

„Ich bin kein Morgenmuffel; ich werde nur viel zu oft gezwungen, vor meiner guten Laune aufzustehen“, schreibt Herr Emil. Ein Satz, den ich mir – natürlich im Präteritum – gut auf meinem Grabstein vorstellen könnte.

„Die neuen Corona-Regeln sorgen in Bonn bei Lebensmittelhändlern für Sorgenfalten“, steht in der Zeitung. Noch so einer.

Sorgenfalten auch auf Liftbetreiberstirnen, weil die Bundeskanzlerin die Schließung der Skigebiete für angebracht befindet. Je nachdem, wer gefragt wird, scheint die Welt ohnehin nur aus sicheren Orten zu bestehen: Kinos, Theater, Supermärkte, Straßenbahnen, Flugzeuge, Fußballstadien, Hotels, Restaurants, Freudenhäuser, nun also auch Skipisten. Schließlich sei Bewegung an der frischen Luft gesund, so ein Sprecher der Liftlobby.

Samstag: „Doch es besteht Hoffnung, dass die Menschheit das Killer-Virus in den Griff bekommt. Das käme dann einer zweiten Mondlandung gleich.“ Das steht nicht in der Bildzeitung, sondern im Bonner General-Anzeiger. Übrigens beinhaltete allein das Apollo-Programm zwischen 1969 und 1972 sechs Mondlandungen, habe ich mal eben recherchiert.

Nicht zu entkommen in diesen Tagen sind die in Wort und Schrift allgegenwärtigen Aufrufe zum kollektiven Konsumterror, der gestern mit dem sogenannten „Black Friday“ begann. Ergänzend zu meinen diesbezüglichen Ausführungen von Montag ist hierzu in der Bonner Nordstadt eine gewisse Ablehnung zu erahnen.

Sonntag: Erster Advent. WhatsApp-Gruppen werden wieder geflutet von Spruchbildern, Gifs und Filmchen mit Kerzen-, Glocken- und Schneemannmotiven. Weihnachten wird überbewertet.

Überbewertet werden auch Werbeverweigererhinweise auf Briefkästen. Das dachte sich jedenfalls offenbar ein Zettelverteiler in der Inneren Nordstadt.

Wie auch immer – ich wünsche Ihnen eine angenehme Adventszeit. Ob mit viel oder wenig Konsum entscheiden Sie. Machen Sie das Beste daraus!

7 Gedanken zu “Woche 48: Sorgenfalten auf Liftbetreiberstirnen

  1. flusskiesel November 30, 2020 / 09:51

    Was bedeutet im Zusammenhang mit Videokonferenzen denn der Begriff ,,harter Anschlag“?
    Ich kenne den sonst nur vom Schreibmaschinenschreiben oder Klavierspielen.

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    • stancerbn November 30, 2020 / 09:53

      Das sagen bei uns gerne Leute, die sich für wichtig halten, wenn sie einen direkten Anschlusstermin haben.

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      • flusskiesel November 30, 2020 / 10:54

        Heidewitzka! Wieder was gelernt!

        Ich stelle mir jetzt gerade ein Meeting von sich sehr wichtig fühlenden ISIS-Terroristen vor …

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  2. Kraulquappe Dezember 2, 2020 / 01:35

    Erbitte baldige Auflösung der geheimnisvollen Bestimmung Ihres neuen Haushaltsgeräts (was es nicht alles gibt! nie zuvor gesehen!) und verbleibe bis dahin mit den herzlichsten Grüßen aus München,
    Ihre N.
    PS: Was ist eigentlich aus den Untermietern im Vogelhäuschen geworden?

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    • stancerbn Dezember 2, 2020 / 08:01

      Dem Vernehmen nach dient das Gerät der Luftreinigung, Glaube soll ja gelegentlich Berge versetzen.
      Unsere possierlichen Mitbewohner haben den Balkon inzwischen verlassen, zumal wir bereits seit dem Spätsommer aufgrund einer gewissen Überbevölkerung auf ein Nachfüllen des Vogelhäuschens verzichtet haben.

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