Woche 42: Mit emissionsfreien Panzern dem Weltfrieden ein Stück näher

Montag: Vergangene Nacht träumte ich die Feier meines achtzigsten Geburtstages. Bemerkenswert war, noch immer erfreute ich mich eines äußerlich recht guten Erhaltungszustandes. Das Erschreckende: Noch immer verzichteten wir aus dem bekannten Grund weitgehend auf näheren Körperkontakt. Nur meine Eltern umarmte ich kurz.

Man solle „positiv bleiben“, las ich in einer werksinternen Mitteilung als Empfehlung im Umgang mit der Seuche. Ich weiß ja nicht.

In der Kantine wird nun per Plakaten dazu aufgefordert, keine Stühle an andere Tische zu rücken und auf die gebotenen Abstände zu achten (was man ohnehin immer tun sollte, auch wenn gerade keine Seuche dräut). So weit so gut. Dessen ungeachtet scheinen viele Kollegen weiterhin nur dann in der Lage zu sein, eine warme Mahlzeit zu sich zu nehmen, wenn der Gesprächspartner gegenüber sitzt. Wenn wegen dieser Trottel die Kantine demnächst wieder schließen muss, dann ist aber was los!

Trotz äußerst geringem Interesse an, um nicht zu schreiben: tiefer Abneigung gegen Autos fiel mir mittags auf dem Weg von der Kantine ein Golf II auf. Die sieht man ja auch nicht mehr so oft; ob das gut oder schlecht ist, mag ein jeder für sich entscheiden. Sieh an, ein Golf II, so einen hatte ich auch mal, dachte ich so vor mich hin. Was man halt so denkt, wenn man irgendwas sieht, womit man gerade nicht gerechnet hat, wie „Kuck mal, ein Eichhörnchen“ und so. Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, da kam von der anderen Seite ein weiteres Exemplar angerollt, und auf dem Rückweg vom Werk sah ich den dritten des Tages an mir vorbeibrausen. Manchmal ist das Leben eine Ansammlung seltsamer Zufälle. Oder war heute Welt-Golf II-Tag? So etwas bekomme ich ja selten mit.

Dienstag: Morgens auf dem Fahrrad spürte ich erstmals in diesem Herbst heftiges Handschuhvermissen.

Laut einem Zeitungsbericht präsentierten mehrere Industrieunternehmen Konzepte zum Klimaschutz durch Wasserstoffnutzung, unter anderem der Rüstungskonzern Rheinmetall. Das ist zu loben: Mit emissionsfreien Panzern dem Weltfrieden ein Stück näher.

Etwas weiter auseinander rücken unterdessen wieder die lieben Kollegen in der Kantine. Seit heute überwachen Sicherheitsleute die Abstandseinhaltung und sprechen die Auge-in-Auge-Esser bei Bedarf an. Na geht doch.

Ansonsten zeigte sich der Herbst mittags von einer überaus schönen Seite.

Mittwoch: „Die deutsche Luftwaffe trainiert mit Nato-Partnern die Verteidigung des Bündnisgebiets mit Atomwaffen“, las ich beim ersten Kaffee des Tages in der Zeitung, woraufhin die linke Augenbraue hochfuhr. „Bei Übungsflügen wird dann allerdings ohne Bomben geflogen“, hieß es weiter, woraus ich schließe, man verzichtet auch auf deren Abwurf, jedenfalls vorerst.

Sie kennen vielleicht noch Alf, der eigentlich Gordon Shumway hieß, jenen fellflauschigen kleinen Kerl mit der großen Nase vom Planeten Melmac, der in den Achtzigern (ist das wirklich schon so lange her?) die amerikanische Familie Tanner terrorisierte und immer wieder ein kulinarisches Auge auf den Kater des Hauses warf. Von ihm stammt der wunderbare Satz „Es ist nie zu früh und selten zu spät“, bitte fragen Sie mich nicht, in welcher Folge er das warum sagte; kurz darauf explodierte der Backofen der Tanners, soweit ich mich erinnere. Egal. Dieser Satz fiel mir heute Morgen auf dem Weg ins Werk wieder ein, als ich in einem Schaufenster den ersten Weihnachtsbaum im Lichterglanz erstrahlen sah. Warum auch nicht, Dominosteine und Marzipanbrote gibt es ja auch schon seit einigen Wochen zu kaufen, und wer weiß, was bis Weihnachten noch geschieht.

Apropos Weihnachten – wie ist das eigentlich: Wenn der Geschäftsbereichsleiter, der mir auf der letzten Weihnachtsfeier (damals, als es so etwas noch gab) in augenscheinlich zurechnungsfähigem Zustand das Du anbot, mich jetzt wieder siezt, darf ich ihn dann trotzdem weiter duzen? So rein kniggetechnisch?

Donnerstag: Der Tag verlief in angenehmer Gleichförmigkeit ähnlicher Arbeitstage, mit leichter Vorfreude auf das nahende Wochenende, ohne bloggenswerte Ereignisse, Erkenntnisse oder Beobachtungen. Nur der Staubsauger heulte abends mein sein tägliches Leid Lied. Genau.

Vielleicht noch dieses: Vor der Nachtruhe beendete ich die Lektüre des Buches „Das Gewicht der Worte“ von Pascal Mercier. Ein lesenswertes Buch über Schreiben, Sterben und ein wenig Südfrankreich, das ich irgendwann nochmals lesen möchte, daher kommt es nicht in den öffentlichen Bücherschrank. Als nächstes vom Stapel der Ungelesenen dann „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“ von Jonathan Franzen. Die Länge des Titels verhält sich umgekehrt proportional zum Umfang des Buches – es hat mal gerade 59 äußerst großzügig bedruckte Seiten -, von daher eher eine literarische Zwischenmahlzeit.

Freitag: „Hi P., please find my feedback below“, las ich im Mailverkehr zwischen zwei deutschsprachigen Kollegen, auch im Cc-Verteiler befand sich kein Fremdsprachler. Was für ein Monkey.

Dazu passend das Jugendwort des Jahres: „lost“. Ach was, würde Loriot sein Knollennasenmännchen sagen lassen, denn: „Da bin ich lost“ sagte mein damaliger Chef schon vor ziemlich genau zehn Jahren. Der war auch sonst etwas seltsam, nicht nur wegen seiner Vorliebe für scheinkluge Anglizismen.

Etwas seltsam fand ich auch die Dame, die ich mittags dabei beobachtete, wie sie mit dem Fuß bzw. Schuh das grüne Ampelmännchen anforderte. Somit hat man nicht nur vermeintliche Viren, sondern auch Hundekot und sonstigen Straßenunrat an den Fingern, wenn man regelkonform und den Kindern zum Vorbild eine Straße überqueren möchte. Daher immer schön die Hände waschen, aber das wissen Sie ja.

Aus dem bekannten Grund sollte man ohnehin bis auf weiteres unnötige Ortswechsel meiden. Dem Leserbrief von Mario C aus A im heutigen General-Anzeiger zum umstrittenen Beherbergungsverbot stimme ich daher zu:

„Das ist nun einmal der jetzigen Zeit geschuldet, aber nicht der Absicht der Zielorte, mögliche Infizierte nicht aufnehmen zu wollen. Die Absicht, sich zu schützen, kann wohl jeder verstehen, oder? Also sind es die Reisewilligen, die, wenn sie sich nicht von ihrem Willen abhalten lassen wollen, sich flexibel einzustellen haben.“

Samstag: „Termin: 22.12.1994“, hat jemand an eine Hauswand in der Innenstadt geschrieben. Die Anschrift muss neu sein; da ich an dieser Hauswand einigermaßen regelmäßig vorbei gehe, wäre mir das ansonsten längst aufgefallen. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, warum man anderer Leute Häuser bemalt und beschriftet: Warum schreibt man einen seit fast sechsundzwanzig Jahren überfälligen Termin an eine Wand?

An einen Lampenmast hat einer einen Aufkleber angebracht: „Arbeit ist Mist.“ Gewiss, mag sein, aber nur, wenn man eine hat, klebe ich gedanklich darunter.

Sonntag: Kennen Sie das, wenn Sie gerne etwas tun würden, ohne die konkrete Umsetzung auch nur ansatzweise in Erwägung zu ziehen? Dieser Gedanke kam mir am Vormittag, als wieder der weiße Porsche mit bullerndem Motor vor dem Haus stand, um die junge Dame aus dem Nebenhaus abzuholen. Da dachte ich: Jetzt ein Blumentopf oder ein anderer schwerer Gegenstand, ein Amboss vielleicht, zufällig genau auf die Motorhaube … Wirklich, das würde ich niemals tun, zumal wir keinen Amboss im Haus haben, wozu auch. Aber der Gedanke bereitete mir eine gewisse Freude, deshalb sei er mir erlaubt.

Freude bereitete mir auch ein langer Spaziergang, den ich nutzte, um Stadt, Land und Fluss bei der Herbstwerdung zuzuschauen.

Sonstige Erkenntnis des Tages: Frechheit lohnt sich. Bei geschicktem Vorgehen wird sie sogar mit Kuchen belohnt.

8 Gedanken zu “Woche 42: Mit emissionsfreien Panzern dem Weltfrieden ein Stück näher

  1. Kraulquappe Oktober 19, 2020 / 09:52

    Beim Zweitkaffee soeben Ihre wöchentliche Retrospektive zum zweiten Mal gelesen:
    Zum einen würde mich interessieren, ob Sie – als ein von mir überaus geschätzter Detektiv der Sprachdiarrhoe – auch schon (in privatem Kontext oder im Werk) der Formulierung „am Ende des Tages“ begegnet sind und was Sie davon halten (ich beobachte das seit Längerem und werde demnächst darüber bloggen).
    Zum anderen möchte ich die (hoffentlich nicht zu indiskrete?) Nachfrage stellen, wie das mit dem Kuchenerschleichen durch Frechsein funktioniert.
    Herzliche Grüße aus München!

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