Schillernd wie ein Regenbogen

Es ist noch nicht sehr lange her, dass es mich am Wochenende raus zog ins Nachtleben, auf Partys, in Kneipen und Spelunken. Nicht an jedem Wochenende, aber doch regelmäßig. Dabei verschob sich die Motivation im Laufe der Zeit: Ließ mich anfangs, so mit siebzehn, achtzehn, der jugendliche Leichtsinn zuvörderst einen Alkoholrausch erstrebenswert erscheinen, so war es später die Suche nach dem libidinösen Abenteuer oder gar der großen Liebe. Das Internet stand mir zum Zwecke convenienter Anbahnung derartiger Bedürfnisse noch nicht zur Verfügung, man musste dazu vor die Tür.

Was ich schon damals nicht verstand: Warum wurde das immer erst so spät voll im EXIT, im Heat, in Muttis Bierstube, wie meine bevorzugten Abenteuerspielplätze in Bielefeld hießen? Warum hatte es keinen Zweck, vor dreiundzwanzig Uhr das Haus zu verlassen, begleitet von Mutters Frage „Wo willst du denn jetzt noch hin?“

Dort saß ich dann, stundenlang, nächtelang bei Bier oder, je nach gewähltem Verkehrsmittel, Cola an der Theke und schaute dem Barmann beim Gläserspülen zu, während mein Traumprinz jeden Moment eintreffen musste. Manchmal kam ich ins Gespräch, seltener zum Abenteuer, nach dessen Vollzug ich zumeist ohne jede Euphorie, dafür eher mit der Frage „War das jetzt wirklich nötig?“ in der Nacht nach Hause fuhr, manchmal noch einsamer als am Abend zuvor losgefahren. Die große Liebe fand ich dort nie. Die fand ich erst viel später, bei ganz anderer Gelegenheit bei Tageslicht, aber das ist eine andere Geschichte.

1999 zog ich mit dem Liebsten nach Bonn. Dort liegt Köln mit seiner großen Szene gleichsam vor der Haustür oder, je nach Betrachtungsweise, Bonn vor den Toren Kölns. Die Suche nach der großen Liebe hatte sich glücklicherweise inzwischen erledigt, das gelegentliche Interesse an Spaß und Abenteuer war hingegen noch nicht ganz verklungen und gemäß gegenseitiger Vereinbarung auch erlaubt. Oft nahmen wir den Zug um kurz nach halb elf, zusammen mit anderem feierfreudigem Jungvolk, zu dem wir uns auch noch zählten. Vom Bahnhof Köln Süd liefen wir zum Rudolfplatz, wo unsere Kneipen waren, erster Anlaufpunkt das Corner. Irgendwann kam der Punkt, wo unser Bedarf an Schlagermusik gedeckt war und uns der Sinn nach „ernsterer“ Unterhaltung war. Diese fanden wir im Midnight Sun, einem Etablissement, dessen Zweck detailliert zu beschreiben die Richtlinien von WordPress in moralisch-sittlicher Hinsicht möglicherweise überschreiten würde.

Oft war ich auch alleine dort, weil der Liebste nach Kölsch, Corner und Kuhn* des Vergnügens müde mit dem nächsten Zug zurück nach Bonn fuhr, während ich noch ein paar Stündchen blieb. Nicht selten war es bereits wieder hell draußen, wenn für mich die Mitternachtssonne untergegangen war und ich von Bier und Befriedigung beschwingt gen Südbahnhof ging.

Das Midnight Sun gibt es nicht mehr. Irgendwann wurde es umbenannt in Basement, aber da hatte ich schon die Lust an durchkreuzten Nächten weitgehend verloren. Inzwischen ist auch das Basement Geschichte, letzten Herbst wurde es gar als Lagerraum angeboten.

Mittlerweile habe ich das Alter jener Herren erreicht, bei deren Anblick ich mich in all den Spelunken fragte: Was will der alte Sack denn noch hier? Ja, ich bin nun selbst ein alter Sack, und wissen Sie was? Das ist herrlich! Mit meinem Spiegelbild bin ich noch einigermaßen zufrieden, selbst am Montagmorgen. Ohne Wehmut schaue ich auf die oben geschilderten Nächte zurück, in denen ich vieles erlebte. Doch die ruhigen Frei- und Samstagabende, die ich jetzt mit meinen beiden Lieben zu Hause verbringe, möchte ich nicht dagegen tauschen. Rausch und Abenteuer inbegriffen, manchmal bis in die Morgenstunden, wenn auch anders.

Dafür bin ich sehr dankbar.

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* Kuhn, Dieter-Thomas, Schlagersänger; beliebt nicht nur im Corner, aber dort besonders: „… schillernd wie ein Regenboooooooooohogen …“

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