Ãœber Werbung

Meine Kindheit wurde wesentlich geprägt durch das Werbefernsehen. Damals war Werbung im Fernsehen noch ruhiger, entspannter, sauberer, auch belästigte sie uns nicht ununterbrochen, es gab sie nur werktags bis zwanzig Uhr, WWF stand für „Westdeutsches Werbefernsehen“ und nicht für den Schutz der bedrohten Kreatur. Auch wurden Filme nicht durch ständige Werbepausen unterbrochen, was hohe Anforderungen an die Kondition unserer Blase stellte, wollten wir nichts verpassen; besser man trank vor und während der Ausstrahlung nicht zu viel. Und die folgende Sendung wurde nicht präsentiert von einer Biermarke oder einem führenden Damenbinden-Hersteller.

Wir Kinder liebten das Werbefernsehen im Zweiten wegen der Mainzelmännchen, die ich auch als Plastikfiguren besaß und die nach ihrer Verjüngungskur mittlerweile auch ihre Unschuld verloren haben. Die ARD versuchte eine Zeit lang, dagegen zu halten mit Ute, Schnute, Kasimir, drei verzogenen Zeichentrick-Blagen, die – zum Glück – bald wieder von der Mattscheibe verschwanden.

Die Fernsehwerbung meiner Kindheit brachte Werbespots von nahezu ewiger Haltbarkeit hervor, hier einige unvergessliche Beispiele:

Der General: Eine brave Hausfrau gibt ein paar Spritzer davon ins Putzwasser, schon ertönt Marschmusik, ihr wachsen Schulterklappen und militärische Abzeichen an der Bluse, woraufhin sie den Aufnehmer schwingt in einer Anmut, die erst Jahre später wieder erreicht wurde von Freddy Mercury mit dem Staubsauger im Musikvideo zu ,I Want To Break Free‘.

Der Persil-Mann: Wie einst Professor Grzimek, wenn ein putziger Nager auf sein Pult kackte, liebkoste er die grün-weiße Waschmittelpackung und lobpreiste sein Produkt in einem ruhigem, sachlichen Ton, der für heutige Werbeverhältnisse, da Werbung mit der hektischen Aufgeregtheit eines unter harten Drogen stehenden Sportreporters auf uns eindrischt, undenkbar wäre.

Frau Sommer pries das Verwöhnaroma von Jacobs-Kaffee und rettete damit so manche missglückte Kaffeetafel. Eine verwandtschaftliche Beziehung zu Dr. Sommer von der BRAVO wurde bislang weder bestätigt noch bestritten. Unsterblich ihr Leitsatz, der auf nahezu alle Lebensbereiche zutrifft: Mühe allein genügt nicht!

Der Weiße Riese bewarb seine Riesenwaschkraft mit einer kilometerlangen Wäscheleine voller weißer Laken, wie sie wohl nur ein mittelgroßes Hotel in entsprechender Anzahl besitzt. Zudem musste die erforderliche Waschmaschine die Größe eines Kanzleramts haben.

Unvergesslich bleibt Klementine, die nicht müde wurde uns zu versichern, dass Ariel nicht nur sauber, sondern rein wäscht. Ich bin mir sicher, sie hat mein Frauenbild und meine sexuelle Präferenz wesentlich beeinflusst, noch heute sind mir kurzhaarige Frauen in Karohemden suspekt.

Tilly hörte sich mit mütterlicher Sanftmut die neuesten Liebesverstrickungen ihrer Kundin an, bis es ihr reichte und sie deren Hand in ein zufällig bereit stehendes Schälchen mit Spülmittel versenkte. Geschirrspülmittel? Nein, Palmolive! Bis heute habe ich diese Werbung nicht verstanden, insbesondere nicht, wen oder was Tilly darstellte und warum da immer dieses Schälchen mit Spülmittel stand, als sei es das selbstverständlichste von der Welt, wie ein Schälchen Erdnüsse oder Chips.

Ziemlich nervig dagegen fand ich die namenlose Bac-Familie: „Hat irgendwer mein Bac gesehen?“ – „Wieso DEIN Bac?“ – „Och Kinder, mein Bac, dein Bac… Bac ist für uns alle da!“

Die Ardo-Gardinen-Frau versicherte uns glaubhaft, dass es sich lohne, auf die Goldkante zu achten. Bei meinen anschließenden Recherchen im Wohnzimmer stellte ich enttäuscht fest, dass unsere Gardinen anstelle der unverzichtbaren Goldkante nur eine Schnur mit unscheinbaren Bleikügelchen enthielt.

Niemand konnte so vollbusig-lasziv „Mandelsplplplitter“ sagen wie jene junge Dame in einem Milka-Verkaufsstand irgendwo auf der Alm. Während unserer Allgäu-Urlaube hielt ich stets Ausschau nach ihr – wegen der Schokolade, versteht sich -, leider gab es auf den Almen nur Kühe mit großen Glocken, jedoch keine ebensolche Schokoladenverkäuferinnen. Mein Glaube an die Werbung erfuhr einen ersten Riss.

Eine Dame darf in dieser Aufzählung nicht fehlen: Marie-Luise Hasel aus der Dr.-Oetker-Versuchsküche. Völlig unaufgeregt konnte sie uns jede Backmischung aus ihrem Hause schmackhaft machen. Zu ihr hatte ich echtes Vertrauen, statt ihrer hätte auch meine Großmutter dort sitzen können.

Frau Sommer, Klementine, Tilly, Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer, Marie-Luise Hasel, der Persil-Mann, das waren die wahren Helden des Alltags. Heute gibt es keine Werbefernseh-Helden mehr, oder sie sind alt und gebrechlich geworden, lesen in der Apotheken-Umschau, was gesund macht, benötigen Produkte gegen müssen müssen, Vergesslichkeit, Müdigkeit, Unruhe, fahren mit dem Lifta-Treppenlift aufs Klo, wo sie Dank eines Produkts gegen harten Stuhl endlich wieder können können.

Die letzten Helden wirken wie tragische Gestalten aus einer anderen Zeit, denken Sie nur an den Trigema-Chef (nein, nicht den Affen, den anderen) oder den Geschäftsführer von Liqui Moly, der uns anfleht, doch bitte bitte seine Motorenöle zu kaufen. Ein besonders tragischer Held ist Gummibärchen-Gottschalk, weil er einfach nicht erkennt, dass wir ihn nicht mehr sehen, geschweige denn hören wollen. Es naht der Tag, da Mario Barth für ein Beruhigungsmittel oder Viagra wirbt. Da weiß man was man hat – guten Abend!

4 Gedanken zu “Ãœber Werbung

  1. ThomasS August 16, 2012 / 00:03

    Passt vielleicht nicht ganz zum Thema, aber ich muss heute schon den ganzen Abend an diese rechteckigen harten Brausebonbons denken. Kennt die noch jemand? Die waren ca 1 cm x 0,5 cm klein und am Rand erhaben. Eine Zeitlang hatte ich so einen Spender aus Kunststoff. Bei meinem sah die Kappe aus wie der Kopf von Donald Duck, es gab aber auch andere Varianten. Wenn man die Kappe zurückgeklappt hat, erschien unterhalb halt so ein Brausebonbon, das man sich rausnehmen konnte. Ich glaube, PEZ hießen die Dinger, kann das sein? Oder diese flachen Fruchtgummis. Ich glaube, als ich im Kleinkindalter zum 1. Mal den Namen Hitler gehört habe, habe ich das zuerst mit diesen leckeren Fruchtgummis assoziiert, weil der Hersteller so ähnlich hieß. Manchmal tue ich das heute noch.

    Ein bisschen gegruselt habe ich mich als Kind vor der Werbung für Produkte der Firma Schneekoppe, weil da am Ende aus dem Nichts eine hallende Stimme „Schneeeekoppe“ gerufen hat. Auch nicht so toll fand ich diese andere Werbung für ein Emailepflegemittel, wo als Negativbeispiel zu Anfang Schlittschuhe zu sehen waren, die auf dem Material Kratzer hinterließen. Das klang auch nicht sehr schön.

    Gefallen hat mir hingegen die Underberg-Werbung. Wo erst ein Einzelner singt „Komm doch mit auf den Underberg“ und es mit jedem Bild mehr Leute werden, die mit auf den Underberg wollen. Das fand ich cool, lange bevor ich wusste, was Underberg ist, geschweige denn, dass das Alkohol enthält. Soll aber keine Schleichwerbung sein. Wenn mir mal schlecht ist, bevorzuge ich eh die Konkurrenzmarke.

    Auf jeden Fall vielen Dank für den Ausflug in meine Kindheit.

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  2. ThomasS August 16, 2012 / 00:44

    >Geschirrspülmittel? Nein, Palmolive! Bis heute habe
    >ich diese Werbung nicht verstanden,

    Besonders absurd war ja, dass „Tilly“ ihre Klientinnen offenbar schon vorher irgendwie dazu gebracht heben muss, ihre Hand bereitwillig in das gefüllte Schälchen zu versenken. Ihr Schlüsselsatz lautete doch immer „Sie baden gerade Ihre Hände darin“. Wenn dann die entsetzte Kundin unverzüglich die Hand aus dem grünen Schleim riss mit dem Aufschrei „Waaaas?!? In Geschirrspülittel?!?“, hat Tilly die Hand der Kundin mit sanfter Gewalt in die Schale zurückbefördert. Wie sie dabei begütigend geagt hat „Nein! In Palmolive!“ … davon könnte sich so mancher Seelsorger eine Scheibe abschneiden.

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  3. ThomasS August 16, 2012 / 01:20

    Ãœber „Tillys“ Beruf gibt vielleicht ein US-Spot Aufschluss, den ich auf Youtube gefunden habe:

    Ich hatte zunächst auf Avon-Beraterin getippt, aber die haben die Kundschaft ja immer im trauten Heim aufgesucht, während bei „Tilly“ spätestens seit den 80ern im Hintergrund immer viel Trubel war.

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